Gegenwart und jüdische Emanzipations-Geschichte

Preview zur Neueröffnung des jüdischen Museums in Frankfurt

Wenn man auf Googlemaps den Bertha-Pappenheim-Platz 1 in Frankfurt sucht, sucht man bisher vergeblich. Die App will einen nach Neu-Isenburg schicken. Dabei handelt es sich um die neue Adresse des jüdischen Museums. Die Frauen- und Sozialreformerin Bertha Pappenheim ist, nach einer Publikumsumfrage des Museums, zur Namensgeberin gewählt worden. Nebenbei ist sie auch als Anna O. in die Geschichte (der Psychoanalyse) eingegangen und vielleicht sogar die eigentliche Erfinderin des „talking cure“…

Die Direktorin Mirjam Wenzel verweist auch auf die Nähe des Museums zum Frankfurter Bahnhofsviertel. Bertha Pappenheim befasste sich in ihrem Kampf gegen Zwangsprostitution vor allem mit der Situation jüdischer Frauen aus Galizien.

Seit 2015 war das jüdische Museum wegen Sanierungs- und Umbauarbeiten geschlossen. Das Rotschildpalais wurde in dieser Zeit um einen Erweiterungsbau ergänzt, so dass nun eine wesentlich größere Ausstellungsfläche zur Verfügung steht. Der neue Eingang befindet sich im Erweiterungsbau, und nicht mehr, wie zuvor, am Untermainkai. „Lichtbau“ wird der vieleckige Neubau genannt. Im 1. Stock ist dort das koschere Restaurant „Deli“ zu finden. 

Die Dauerausstellung im neu eröffneten Museum befasst sich mit jüdischer Geschichte ab Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. „Von der Emanzipation bis heute“ beschreibt Mirjam Wenzel die thematische Spannbreite.

Zum Ende des 18. bzw. mit Beginn des 19.Jahrhunderts wurden mit den napoleonischen Kriegen und der Einsetzung des Großherzogs von Frankfurt, Dalberg, die Werte der französischen Revolution auch in Frankfurt praktisch umgesetzt. Das Ghetto wurde aufgelöst und Bürgerrechte waren nun nicht mehr ausschließlich Christen vorbehalten.

Wenn man bei der Gegenwart beginnt, gibt es eine virtuelle Begrüßung, die von „Was geht?“ bis „Hallo“ oder „Welcome“ reicht. Die Personen die einen begrüßen, könnten ein Aushub, an einem beliebigen Tag, in einer beliebigen Einkaufsstraße sein. Mirjam Wenzel beschreibt, sie sei genervt, dass Juden oft mit einer bestimmten Physiognomik oder Kleidung dargestellt würden. 

Dann geht es um die Gegenwart. Ein koscheres Restaurant in Frankfurt wird vorgestellt, das nach einer New-Yorker-Gang benannt ist. Daneben ein Schnaps, der nur dort ausgeschenkt wird und mit Sukkot, dem Laubhüttenfest, in Verbindung steht.  

Wenige Schritte weiter geht es um prominente jüdische Stadtabgeordnete. Unter anderem ist dort ein Jugendbild des amtierenden Oberbürgermeisters zu sehen.

Die Ausstellung pendelt zwischen Objekten und Personen. Während es in den 60er Jahren in der jüdischen Gemeinde eher eine Stimmung gegeben habe, das Land zu verlassen, sei in 70er und 80er Jahren eine Veränderung eingetreten, beschreibt Wenzel. Sie verweist jedoch auch darauf, dass die Juden aus den Displaced-Persons-Camps nach dem Krieg nicht unbedingt freiwillig im Land blieben. Oft war der Grund, dass kranke und/oder traumatisierte Familienangehörige kein Visa bekommen konnten.

Die veränderte Haltung in den 70er und 80er Jahren beschreibt Mirjam Wenzel mit einem Wort von Salomon Korn: „Wer ein Haus baut, will bleiben und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit“.

Dennoch wird deutlich, dass jüdische Geschichte nach 1945, auch eine Geschichte des Antisemitismus ist. In der Ausstellung wird ein Abriss antisemitischer Skandale nach 45’ gegeben. Kurz nach dem Krieg, der Versuch eines Offenbacher Oberbürgermeisters die Berufung des Arztes Herbert Lewin zum Leiter eines Klinikums zu verhindern, in den 70er Jahren die Auseinandersetzung um das Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“, bei dem schließlich jüdische Gemeindemitglieder die Bühne besetzten und in der jüngeren Geschichte antisemitische Angriffe auf den Fußballklub „Makkabi“. 

Wesentlich aber als Bezugspunkt, bleibt auch der Ort, das Rothschildpalais. Vielleicht weniger bekannt ist, dass sich dort im 19. Jahrhundert eine der ersten öffentlichen Bibliotheken befand. Auch an diese Tradition wird angeknüpft, durch einen Bibliotheksraum, der nicht nur Fachpublikum zur Verfügung steht. Mirjam Wenzel betont, die Bibliothek solle explizit ein „öffentlicher Ort“ sein, der kostenfrei besucht werden könne.

Es sind zahlreiche Geschichten, die das neue, alte Museum erzählt. Neben der Gegenwart und dem 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert werden explizit Geschichten Frankfurter Familien erzählt: Die der Familie Rothschild (Projektionsfläche zahlreicher Verschwörungstheorien), die Geschichte der Familie Senger und die Geschichte der Familie Frank.

Wohl einer der ältesten Sammlungen, die religiösen Ritualgegenstände, bleiben Teil der Ausstellung, wurden jedoch nach sinnlichen Qualitäten neu angeordnet. Viele der Rituale würden sich mit der Erinnerung an den Tempel, bzw. der Erinnerung an die Zerstörung des Tempels befassen, so Wenzel.

Die Vielstimmigkeit und Vielseitigkeit der Ausstellungskonzeption ist überzeugend. Mit den zahlreichen Gegenwartsbezügen, oder auch den Bezügen zur jüngeren Vergangenheit werden viele politische Fragen aufgeworfen. Wo auf dialogische oder mediale Mittel zurückgegriffen wird, sind diese eher zurückhaltend eingesetzt.

Gegenwart und jüdische Emanzipations-Geschichte

Erinnerungsort — EZB

Am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bot das jüdische Museum eine Führung durch die Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle an. Von dort wurden 10.000 Frankfurter Juden in Vernichtungslager und Ghettos deportiert. Nur wenige überlebten.

Heute residiert auf dem Gelände die Europäische Zentralbank. Die Widersprüche, die sich aus den zwei Ansprüchen eines eigentlich öffentlichen Erinnerungsortes, und der Nutzung durch die Finanzinstitution auftun, wurden bereits am Einlass deutlich. Das Betreten ist nur nach frühzeitiger namentlicher Anmeldung möglich. Nicht namentliche Anmeldungen, auch bei vorhandenen Ausweispapieren, wurden nicht akzeptiert. Einige Besucher mussten zurückgelassen werden. Die Führung fand zudem in steter Begleitung eines uniformierten Securitys statt.

Die Erinnerungsstätte liegt im östlichen Teil des EZB-Gebäudes

Das Gebäude wurde nach seiner Erbauung 1928 mehrfach verändert. Zuerst nach einem Kriegsschaden, zuletzt im umfassenden Maße nach Erwerbung durch die europäische Zentralbank. Genutzt wurde es bis 2004 für den Marktbetrieb der Großmarkthalle. Der Erinnerungsort wurde 2015 eröffnet und durch das Architekturbüro KatzKaiser gestaltet. 

Das Umfeld des Gebäudes ist in vielerlei Hinsicht mit jüdischer Geschichte verbunden.

Es liegt an der nach Leopold Sonnemann benannten Sonnemannallee, der Herausgeber der Frankfurter Zeitung, aber auch Initiator zahlreicher kultureller und technischer Innovationen war.  

Das sich anschließende Viertel, das Frankfurter Ostend, galt im 19. und frühen 20. Jahrhundert als „das jüdische Viertel“ wie Stadtführer Jürgen Steinmetz betont. 40% der Bevölkerung im Ostend war jüdisch, darunter viele Ostjuden.  

Die Verschleppung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Frankfurt sei unterschiedlich abgelaufen, so Steinmetz. Während bei der ersten Deportation 1941 die Menschen noch aus ihren Wohnungen geholt worden seien, seien sie später vor der Deportation oftmals in Ghettohäusern eingesperrt gewesen.

Zynischerweise ging der Betrieb der Großmarkthalle während der Deportationen unvermindert weiter. Während in den Kellerräumen Menschen ihres Besitzes beraubt, eingesperrt, misshandelt und schließlich zur Ermordung in Züge gezwungen wurden, wurde oben Gemüse verkauft.

Die Erinnerungsstätte besteht vornehmlich aus in Stein gravierten Zitaten, die den Weg bis zur Rampe, und auch im Innenbereich den Kellergang bis zum Sammlungsraum säumen.

Die Zitate stammen von Deportierten und Zeitzeugen, sind Briefen und Tagebucheinträgen entnommen, von wenigen Überlebenden gibt es auch nachträgliche Beschreibungen.

Das erste Zitat am Hauptgebäude stammt von der Frankfurterin Tilly Cahn. Sie und ihr Mann wurden vorerst in das Ostend zwangsumgesiedelt. Max Cahn durfte seinen Beruf als Anwalt nicht mehr ausüben. Tilly Cahn und ihr Mann hatten zu jeder Gesetzgebung der Nazis (Von Pressegesetzen bis zu der Entrechtung der Juden) die ab 1933 erlassen wurden Kommentierungen verfasst, die posthum von ihren Nachkommen herausgegeben wurden. Tilly Cahn schrieb 1942:

„1100 Juden bekommen die Nachricht, dass sie sich zum Abtransport am 7. Mai bereithalten sollen, bis 65 Jahre. Leid und Jammer lassen sich nicht schildern. Reiseziel unbekannt, nur wenig Gepäck gestattet, genaue Liste ist auszufüllen über alles, was sie zurücklassen, organisierter Raub.“

Die Aussagen von denjenigen, die im NS in der Großmarkthalle beschäftigt waren sind spärlich. Im Außenbereich findet sich das Zitat einer Sekretärin:

„Als ich morgens ins Büro kam, standen auf den Gleisen weiter draußen geschlossene Waggons, die von der Gestapo bewacht wurden. Das alles hat sich mehrmals wiederholt. Und nicht nur ich wusste, was da geschah, viele wussten es.“

Auf dem Weg über die Rampe durch den Kellergang findet sich ein Zitat der Journalistin Lili Hahn von 1941 dass die unmenschliche Situation der Eingesperrten beschreibt:

„Mittlerweile war es Abend geworden. Noch immer standen die Menschen zusammengepfercht wie das Vieh. Aber Tiere werden besser behandelt. Diese armen Menschen, bei denen die SA morgens um sieben Uhr eingedrungen war, hatten nicht einmal etwas zu essen oder zu trinken. Sie standen so dicht gedrängt in ihren durch dicke Seile abgetrennten Gevierten, dass immer nur einige von ihnen auf ihren Koffern sitzen konnten.“

Stadtführer Steinmetz beschreibt die Abfertigung der Menschen. Ein bürokratischer Vorgang, der das Aberkennen der (noch vorhanden) Bürgerrechte mit Demütigungen und Misshandlungen verband. Mit der „Denaturalisierung“ wurde den Menschen die Staatsbürgerschaft aberkannt, darauf folgten Leibesvisiten, der Diebstahl der noch vorhandenen Wertsachen, die erzwungene Abgabe der Wohnungsschlüssel und der vorher aufgestellten Inventarlisten. Zum Schluss sei eine Kennkarte erstellt worden und die Menschen hätten für die Deportation 50,- DM bezahlen müssen.

Die letzten Deportationen von der Großmarkthalle, so Steinmetz, wurden noch im Frühjahr 1945 (14.Februar und 15.März) durchgeführt „als die Amerikaner schon an der Mosel standen“. Das Ziel der Vernichtung der Juden wurde bis zuletzt verfolgt.

Erinnerungsort — EZB

„Wir waren bunte Hunde“


Stadtrundgang mit den Senger-Kindern

Unter dem Titel „Mein Frankfurt – Stadtspaziergang mit Ionka Senger und Rüdiger Kreuter“ bot das jüdische Museum diesen Sonntag zahlreichen Besuchern die Möglichkeit mehr über die Familiengeschichte der Sengers und, damit verbunden, über NS-Geschichte und Nachkriegszeit im Frankfurter Gallus-Viertel zu erfahren.

Die beiden Vortragenden sind Kinder des Journalisten und Autoren Valentin Senger, der durch seine Autobiographie „Kaiserhofstr. 12“ Berühmtheit erlangte. In der Biographie schildert Senger wie die jüdische Familie in Frankfurt die NS-Zeit überlebte. Eine Ausnahme. Im Neubau des jüdischen Museums, das Ende 2019 eröffnet werden soll, wird die Geschichte der Familie Senger Teil der neuen Dauerausstellung sein.

Sengers Kinder führen an diesem Tag durch das Frankfurter Gallus-Viertel, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht haben. Beide tuen dies mit Leidenschaft und erzählerischem Talent –  auch wenn die Technik der Headphones manchmal nicht mitspielt.

Der Lokalkolorit ist insbesondere Rüdiger Kreuter deutlich anzuhören „Isch bin noch ganz krumpelisch, es ist noch zu früh“, das Wetter ist kühl aber sonnig und es haben sich zahlreiche Interessierte eingefunden. Die erste Station ist der Saalbau Gallus in dem 1968 der Ausschwitzprozess begann.

Doch vorher gibt es noch einen kurzen Stop mit Blick auf die Societäts-Druckerei. Ionka Sänger berichtet, dass mit diesem Ort ihre ersten politischen Erfahrungen verbunden seien. Nach der Ermordung von Rudi Dutschke in Berlin zogen die Studierenden nach einer Veranstaltung mit Wolfgang Abendroth dorthin, um die Auslieferung der dort gedruckten Bild-Zeitung zu verhindern. Das Blatt hatte vor der Ermordung monatelang gegen den Studentenführer eine Hetzkampagne betrieben. Einige der Veranstaltungsteilnehmer erinnern sich auch an den Tod von Günther Sare in den 80er Jahren, der von einem Wasserwerfer der Polizei überfahren wurde. Der Antrag, den Platz nach dem getöteten Demonstranten zu benennen, wurde abgelehnt. Viel Geschichte auf engem Raum.

Der Auschwitzprozess im Gallus

Nachdem der Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung sich als zu klein für den Ausschwitzprozess erwiesen hatte, wurde der Prozess in den Saalbau Gallus verlegt. 22 waren damals angeklagt, alle waren in Ausschwitz „tätig“ gewesen. Rüdiger Kreuter beschreibt die damalige Situation. „Das kann man sich nicht vorstellen, die Polizei hat salutiert vor den NS Verbrechern“. Es habe einen absolut unverschämten Umgang mit den Zeugen gegeben. Am deutlichsten sei ihm der Verteidiger Dr. Stolting im Gedächtnis geblieben „Das war der kälteste Mensch, der mir je begegnet ist“. Stolting habe die schwer traumatisierten Zeugen angeschrien.

Die Gesetzeslage war damals allerdings eine andere als heute, da jedem einzelnen die Mordbeteiligung nachgewiesen werden musste. Organisatoren des Massenmords, sogenannte Schreibtischtäter, konnten sich so oft aus der Verantwortung stehlen. Die Tonbänder des Prozesses sollten ursprünglich direkt nach dem Prozess vernichtet werden, was glücklicherweise nicht geschah. Die Bänder lagerten über Jahrzehnte beim Hessischen Rundfunk.

Doch die Angeklagten erhielten nur geringe Strafen. Niemand musste die Höchststrafe von 15 Jahren absitzen, einige wurden freigesprochen. Kreuter war bei drei Prozesstagen dabei. Ionka Senger fügt hinzu: „Es war nicht auszuhalten dem gesamten Prozess zu folgen“.

Bei der Familie Senger gingen Überlebende und Angehörige ein und aus, „kommunistisch oder jüdisch, das war uns schnurz“ sagt Ionka Senger. „Die haben dann gefragt, ob mein Vater wüsste wo der oder der abgeblieben ist, wenn der dann wusste, der wurde deportiert, brachen die Menschen oft in Tränen aus. Wir haben viele Menschen mit eintätowierten Nummern gesehen“ erinnert sich Ionka Senger.

Gallus-Viertel und Adler-Werke

Das westlich der Galluswarte liegende Areal des Viertels, aus dem auch die Geschwister kommen, wird oft als Kamerun bezeichnet. Ionka Senger führt das darauf zurück, dass auf dem alten Flughafen (dem Rebstockgelände) Rekruten trainiert wurden, die in der deutschen Kolonie Kamerun eingesetzt wurden.

Zurück auf der Mainzer Landstraße weist Rüdiger Kreuter auf die Nummer 293 hin. Da sei in den 20er Jahren Ikas Schuhfabrik gewesen. Der jüdische Fabrikant habe hauptsächlich Pantoffeln hergestellt. Da er aber darüber hinaus eine große Leidenschaft für den Fussball gehegt habe, soll er Fußballer der Eintracht zu guten Bedingungen in seiner Firma beschäftigt haben. Diese Querfinanzierung habe dazu geführt, dass die Frankfurter Fussballer als „Schlappekicker“ (Pantoffeln heißen auf frankfurterisch Schlappen), oder auch als „Juddebubbe“ beschimpft wurden. Die Firma wurde im NS enteignet, der Besitzer musste in die USA auswandern.

Der nächste Halt ist kurz vor den Adlerwerken in der Lahnstraße. Dort wohnte der Schriftsteller Hans Frick, ein Freund der Familie. In „die blaue Stunde“ beschrieb er seine Kindheit als „Halbjude“ im NS. Als sein Roman „Breinitzer“ bei den Sengers diskutiert wurde, seien die Kinder allerdings rausgeschickt worden.

Kreuter verweist immer wieder auf Fabriken, die es heute zum Großteil nicht mehr gibt. Die Lampenfabrik Bünte und Remmler stellte unter anderem die berühmte Wagenfeld-Lampe her. Dabei wird auch der Wandel vom industriell geprägtem Viertel zum Wohnquartier deutlich.

Der „Golub-Lebedenko-Platz“ kurz vor den Adlerwerken ist nach zwei jungen Männern benannt, die 1945 aus dem KZ der Adlerwerke flohen und von der SS erschossen wurden.

Die Adlerwerke, die sich früh in der Rüstungsindustrie betätigt hatten, errichteten das drittgrößte Zwangsarbeiterlager in Frankfurt (nach dem IG-Farben und der VDM). Die ersten Baracken für französische Häftlinge wurden dort 1941 errichtet, später kamen russische Gefangene hinzu. 1944 wurde dort das Außenlager des KZ Netzweiler errichtet. 1600 Häftlinge aus Dachau und Buchenwald wurden dort wöchentlich zu 84 Stunden Zwangsarbeit gezwungen. Nur wenige der Häftlinge überlebten. „Es wurde lange versucht zu verschleiern, dass dort ein KZ war“, so Ionka Senger.

An der Kleyerstraße liegt auch das Gebäude der ehemaligen Konsum-Zentrale für Frankfurt und Umgebung, „der Konsum“. Das Ziel der Genossenschaft war es, preisgünstig Lebensmittel für Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Doch diese genossenschaftlichen Modelle (ein anderes Beispiel ist auch die Bank für Gemeinwirtschaft) seien in den 80er Jahren abgestorben, so der Veranstaltungsteilnehmer und ehemalige DGB-Landesvorsitzende Dieter Hooge.

Vorbei geht es auch an den ehemaligen Werken von Teves und „Telefonbau und Normalzeit“. Die Gewerkschaft hatte sich einst damit gerühmt, dass 95% der Arbeiter der Teves-Werke gewerkschaftlich organisiert seien, berichtet Rüdiger Kreuter.

In der Arbeitersiedlung

Valentin Senger und seine Frau waren Mitglieder der KPD „da gehörte es dazu, dass man vor Arbeitsbeginn Flugblätter verteilte“ berichtet Ionka Senger. Kreuter fügt hinzu, dass auch die Kinder manchmal dabei halfen „das waren ja nur zwo“. Die Friedrich-Ebert-Siedlung, wo die Familie nach dem Krieg ihre erste Wohnung beziehen konnte, war ein Arbeiterviertel. „Mit einem hohen Organisationsgrad“ wie Rüdiger Kreuter betont. Er habe mal nachgeschaut und nach dem Krieg (vor dem KPD-Verbot) hätten dort 50% die SPD gewählt und 25% die KPD.

Im Viertel seien sie allerdings „bunte Hunde“ gewesen: staatenlos, nicht religiös, intellektuell. Der Vater Valentin sei auch dadurch aufgefallen, dass er täglich mehrere Tageszeitungen abonniert hatte. Die neue Wohnung in der Kleyerstraße 106 war eine sogenannte Notwohnung. Die bald 4-köpfige Familie lebte auf 46 Quadratmetern. Die Häuser waren aus „Sauerkrautplatten“, einer Mischung aus Kriegsschutt und Zement gebaut. Die Kleyerstraße war zu dieser Zeit allerdings eine Sackgasse und keine Durchfahrtsstraße „für mich war das das Paradies“ sagt Kreuter. Die Wohnung war hell, die Kaiserhofstraße war „ein Loch“ gewesen, dunkel und Ungeziefer habe es dort gegeben. In der Kleyerstraße habe man vor Arbeitsbeginn ein lautes Summen gehört. Das seien die Arbeiter auf ihren Fahrrädern gewesen. Autos habe es da noch kaum gegeben. Die Leute seien entweder mit dem Rad oder der Straßenbahn gekommen.

„Die Bude war immer voll“ erzählt Ionka Senger, Genossen und Überlebende hätten sich bei ihnen getroffen. Am Anfang habe Valentin Senger für die Sozialistische Arbeiterzeitung gearbeitet, dort sei er als Lokal-und Kulturredakteur tätig gewesen, später kamen Sendungen für den Schulfunk des Hessischen Rundfunks dazu.

Im gleichen Haus habe auch ein SPDler gewohnt, der im KZ gewesen war, ein anderer Nachbar war bei der SS. Wegen seines politischen Engagements war der Sengersche Haushalt auch Ziel polizeilicher Repression. Kreuter sagt dazu „Wenn bekannt wurde, dass Polizisten hier aus dem Viertel eine Durchsuchung beim ‚Valli‘ gemacht haben, dann durften die abends nicht zum Stammtisch, man war hier schon eingebunden“. Die Arbeiterkneipe von damals heißt heute „Zum Mirko“. Die Sengers seien dort aber schon manchmal angeeckt. Zum einen seien die Eltern immer zu spät zu den Parteitreffen gekommen, und dann sei die Mutter auch noch im Pelzmantel erschienen. Die Mutter sei eben eine bildschöne Frau gewesen, die das wusste und auch repräsentierte. „Das war nicht in“ kommentiert Ionka Senger.

In der gleichen Straße befanden sich auch zwei Arbeitersportvereine. Der jüdische Sportverein wurde 1938 zwangsaufgelöst, „der Straßenbahnersportverein wurde dann dort reingesetzt“ so Kreuter. Die Senger-Geschwister waren als Kinder und Jugendliche bei den Falken organisiert. Überhaupt seien viele Kinder im Viertel in Organisationen gewesen, bei den Naturfreunden, den Falken oder in der evangelischen Jugend. In der Schule hätten sie aber meistenteils Lehrer gehabt, die noch in der Nazizeit ausgebildet worden waren. Die hätten dann Hitlers Autobahnen gelobt und an Kritik höchstens mal formuliert „des mit den Juden war net in Ordnung“.

Parteiausschluss und Einbürgerung

Der soziale Aufstieg sei dann mit einer festen Anstellung von Senger beim HR zu Beginn der 60er Jahre gekommen. Vorher habe der Vater noch für die Nachrichtenagentur der DDR (ADN) geschrieben und in Folge dessen, oder auch im Zuge des KPD-Verbots, hätten bei der Familie immer wieder Hausdurchsuchungen stattgefunden. Ende der 50er konnte die Familie schließlich ein Haus dicht an der Mainzer Landstraße beziehen, das jedoch im selben Viertel liegt.

Als Valentin Senger die Rede von Chruschtschow zum Parteitag der KPDSU verbreitete, in der Chruschtschow mit dem Stalinismus abgerechnet hatte, wurde Senger aus der KPD ausgeschlossen.

Die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt Valentin Senger erst zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches „Kaiserhofstraße 12“. Diese war ihm über 20 Jahre verweigert worden. Das habe auch die Kinder zeitweise betroffen. So habe Innenminister Höcherl sich damals geäußert, dass ein Vater der in der KPD sei, keine demokratische Erziehung gewährleisten könne, so Ionka Senger. Sie endet mit einer Anekdote. Als Senger die Urkunde Anfang der 80er Jahre endlich abholen konnte, habe dort noch derselbe Beamte gesessen, bei dem er 1958 den Antrag gestellt habe. Der kommentierte nur: „Tut mir leid, an mir hats nicht gelegen“.

„Wir waren bunte Hunde“

Auschwitz im Gedächtnis der Menschheit

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Unterlagen des 1. Auschwitzprozesses werden in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen

Vor 55 Jahren, 1963, hatte in Frankfurt der Auschwitzprozess begonnen. Jetzt wurden in einem Festakt im Haus Gallus die Akten und Tonaufnahmen des 1. Auschwitzprozesses in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen. In dem Prozess wurden Schuldige angeklagt, die sich bis zu diesem Zeitpunkt als bloße Befehlsempfänger dargestellt hatten, und in der deutschen Bevölkerung als Normalbürger untergetaucht waren. Die strafrechtliche Untersuchung der in Auschwitz (dem größten Konzentrations- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus) begangenen Verbrechen, wurde damit zum Auslöser einer bundesweiten öffentlichen Debatte und stellte eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Gesellschaft dar.

Begonnen hatte der Prozess in den 60er Jahren im Rathaus Frankfurt. Er wurde jedoch bald in das Haus Gallus verlegt – Die Erinnerungsfeierlichkeiten fanden also am historischen Ort statt.

Übergeben wurde die Urkunde von der Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Verena Metze-Mangold an den hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein. Ausgerichtet war der Festakt vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Landesarchiv Wiesbaden, das für die Aufbewahrung und Erhaltung der Unterlagen verantwortlich ist.

Als wichtigste Gäste wurden die Vertreter der Frankfurter jüdischen Gemeinde und des Landesverbands, und die Vertretung der Sinti und Roma in Hessen begrüßt, aber auch einer der damaligen Staatsanwälte des Auschwitzprozesses Gerhard Wiese.

Daneben waren Vertreter der Justiz und Gäste aus dem Landtag geladen, Außenminister Heiko Maas wurde durch Andreas Kindl (Auswärtiges Amt) vertreten.

Die UNESCO-Vertreterin Verena Metze-Mangold forderte dazu auf, Erbe und Herkunft nicht als Mittel der Abgrenzung zu instrumentalisieren. Vielmehr sei eine Entwicklung hin zu vielfachen Identitäten zu beobachten, die eine „global citizenship“ nahelegen würden. Gerade in Zeiten sich rasch wandelnder Gesellschaften, müsse die Erinnerung an Auschwitz wach gehalten werden.  Die Dokumentation der Auschwitzprozesse sei ein Zeichen, und ein Mittel für die Möglichkeit der Selbstaufklärung. Die digitalisierten Tonbandaufnahmen des Auschwitzprozesses seien schon des längeren auf der Internetseite des Fritz-Bauer-Instituts verfügbar. Sie seien auch als Mahnung zu verstehen, dass die Haut der Zivilisation dünn sei.

Andreas Kindl zitierte Außenminister Heiko Maas, der in seiner Antrittsrede zum Außenminister bekannte, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen.

Die UNESCO als Sonderorganisation der UN habe sich bereits in ihrer Präambel auf Auschwitz als „Verbrechen gegen die Menschheit“ bezogen. Die Verbrechen seien erst möglich geworden durch die Ausnutzung von „Unwissen und Vorurteilen“. Mit den Auschwitzprozessen habe erst die eigentliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Deutschen im NS stattgefunden als „Mittäter, Billigende und Duldende“. Andreas Kindl betonte, dass ohne das Engagement von Fritz Bauer der Prozess „nicht denkbar“ gewesen wäre, und verwies damit auf die Bedeutung des Einzelnen an der Gestaltung der Gesellschaft. Auch die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshof der UN stehe mit den Frankfurter Prozessen im Zusammenhang. Kindl schließt wiederum mit einem Zitat von Heiko Maas: „Die Erinnerung darf niemals enden“.

Der hessische Kultusminister Boris Rhein betonte, dass mit dem Prozess die Verantwortung der Einzelnen für begangene Verbrechen durchgesetzt worden sei. Die Rechtfertigungsstrategie, man sei nur ein „Rädchen im Getriebe“ gewesen, sei somit nicht mehr akzeptiert worden. Der größte Prozess der deutschen Strafjustiz sei auf ein breites öffentliches Interesse gestoßen, aber auch auf erhebliche Widerstände. Fritz Bauer habe beispielsweise zahlreiche Drohbriefe von Bürgern erhalten. Bauer habe sich die Feindseligkeit damit erklärt, dass „nicht nur 22 Personen auf der Anklagebank säßen, sondern 22 Millionen“. Die Menschen hätten sich in den Tätern wiedererkannt. Mit dem Prozess sei die Beteiligung „bürgerlicher Existenzen“ an den Verbrechen in den Fokus gerückt. Rhein nennt „Krankenpfleger, Bäcker, Bankangestellte und Nachbarn“, als Auswahl aus der Berufsliste der Angeklagten.

Dass Rhein dabei auf die Erwähnung der akademischen Berufe von Angeklagten verzichte- wie Lehrer, Apotheker, Arzt und Zahnarzt – wirkt (gelinde gesagt) seltsam.

1963 habe Bauer versucht, die Verantwortung und Mitschuld für alle am Vernichtungsprozess Beteiligten durchzusetzen. Dafür habe es aber damals noch keine rechtliche Grundlage gegeben. Erst 2011 sei es zu einer dementsprechenden gesetzlichen Änderung gekommen. Bei dem Prozess habe dies dazu geführt, dass auch ranghohe Angeklagte nur für die Mithilfe zum Mord verurteilt wurden.

Rhein schneidet auch das Thema zum Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft an, und tut dabei (ganz nebenbei) den Ausspruch, dass es auch „für Zuwanderer keine Ausnahme geben könne“. Durch das Herausgreifen der Zuwanderer als Problemgruppe in Bezug auf Antisemitismus bedient der Minister allerdings (nebenbei) Ressentiments gegen Minderheiten.

Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard ging es um das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften und um die Frage, was passiere, wenn Geschichte vergessen oder verdrängt würde, und wie sich entscheide, was erinnert wird. Als Beispiele nannte er den Assuan Staudamm, die Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad, das Nationalmuseum in Sarajevo, und die Zerstörung alter Handschriften in Mali. Oft gehe es bei solchen Zerstörungen um den Versuch die kulturelle Identität Anderer zu vernichten. Bei der Aufnahme der Prozessdokumente in das Weltkulturerbe gehe es vor allem darum, den Opfern ihre Würde zurückzugeben. Die Stimmen der Opfer würden hörbar.

Er selbst habe damals als Schüler den Prozess besucht. Der angeklagte Robert Mulka habe eine ganz ähnliche Haltung eingenommen wie Adolf Eichmann und seine eigene Rolle heruntergespielt; „Ich bin nur ein kleiner Mann, ich musste meine Befehle ausführen“.

Im Anschluss wurden Tonaufnahmen von Zeugen im Auschwitzprozess eingespielt:

Ein Zeuge berichtete von den Selektionen an der Rampe und dem Transport von Zyklon B in Rotkreuzwagen, eine Schreiberin schilderte den Bau der Rampe im Jahr 1943, ein Arzt berichtete vom Selektionsprozess an der Rampe, an dem sich der Angeklagte Apotheker Dr. Capesius beteiligte. Die Frau des Arztes und seine Kinder wurden ermordet, er sah sie dort zum letzten Mal.

Dr. Capesius war als Vertreter der IG-Farben Industrie im Lager und am Selektionsprozess beteiligt, noch im Prozess habe er versucht, sich als unschuldigen Apotheker darzustellen.

Erst 1979 sei die Verjährung von Mord im Bundestag aufgehoben worden, so dass eine weitere Verfolgung der Täter möglich wurde.

Der Justizminister Lauritz Lauritzen habe die Tondokumente des Prozesses gerettet, ursprünglich hätten sie gelöscht werden müssen, da sie nur als Gedächtnisstütze für das Gericht gedacht waren.

Prof. Dr. Andreas Hedwig, Präsident des Hessischen Landesarchivs, wies darauf hin, dass der Ausgangspunkt des Prozesses eine Strafanzeige in Stuttgart gegen den Angeklagten Bogner gewesen war. Das hessische Landesarchiv sei im übrigen nicht nur Aufbewahrungsort für die Dokumente des Auschwitzprozesses, sondern habe einen umfangreichen Bestand an Akten aus der NS-Zeit.

Die Veranstaltung wurde musikalisch eingerahmt durch das Rheingauer Streichquartett, das Werke von Béla Bartók, Sergei Prokofjew, Miroslav Skoryk und Chiel Meijering spielte. Die Werkauswahl und die Umsetzung wurde vom Publikum mit großem Applaus gewürdigt. Schon beim eröffnenden Stück „Caixa de Dolçosvon Chiel Meijering“ traten manch einem die Tränen in die Augen.

Tondokumente des Auschwitzprozesses auf der Seite des Fritz-Bauer-Instituts: http://www.auschwitz-prozess.de/

Veranstaltung zum Auschwitzprozess in Frankfurt im Bürgerhaus Gallus

Saalbau Gallus/Haus Gallus

Aufnahme der Dokumente des Auschwitzprozesses in das UNESCO-Weltdokumentenerbe

Von links nach rechts: Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Prof. Dr. Verena Metze-Mangold, Andreas Kindl, Gerhard Wiese, Boris Rhein, Prof. Dr. Andreas Hedwig

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Auschwitz im Gedächtnis der Menschheit

Kampf um Erinnerung

Symposium zum 30. Jahrestag des Börneplatzkonfliktes

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jüdisches Museum Stadtwerke

Bei dem vom Jüdischem Museum und Fritz Bauer Institut gemeinsam ausgerichteten Symposium mit dem Titel „Der Börneplatz-Konflikt 1987 revisited“ ging es in erster Linie um die wissenschaftliche Reflektion der nun 30. Jahre zurückliegenden Ereignisse. Das Veranstaltungskonzept beinhaltete aber auch die gemeinsame persönliche Erinnerung. In der sich anschließende Debatte meldeten sich zahlreiche Zeitgenossen und ehemalige Aktivistinnen zu Wort.

Das Symposium fand im Gebäude der Frankfurter Stadtwerke, und damit am ehemaligen Schauplatz der Auseinandersetzung statt. Dort stieß man 1987 während der Bauarbeiten zu einem Verwaltungsbau für die Stadtwerke auf Mauerfragmente des alten Frankfurter jüdischen Ghettos: 19 Häuser und zwei Ritualbäder wurden gefunden.

Noch vor Baubeginn war der Standort des Ghettos, das seit dem Mittelalter bestanden hatte und erst 1871 aufgelöst wurde, gemeinhin bekannt. Nach dem Fund forderte die jüdische Gemeinde einen Baustopp, dem jedoch nicht nachgekommen wurde.

Die Konsequenz war ein Kompromiss, nur ein kleiner Teil des archäologischen Funds wurde erhalten, der Rest wurde abgetragen, nummeriert und eingelagert. Nachdem der Magistrat signalisiert hatte, dass er von seinem Bauvorhaben nicht abrücken würde, besetzte eine Gruppe Engagierter das Gelände über eine Dauer von fünf Tagen.

Die Vorträge des Symposiums behandelten das Ereignis und die darauf folgenden Debatten.

Dr. Mirjam Wenzel, die Direktorin des jüdischen Museums weist in ihrer Einführung auf die große Bedeutung des Fundes hin, es habe sich um den „bis dato größten archäologischen Fund eines jüdischen Siedlungsgebietes aus der frühen Neuzeit in Europa“ gehandelt.

Der Vortragende und wissenschaftliche Mitarbeiter am jüdischen Museum Dr. Tobias Freimüller beleuchtet den historischen Kontext der 80er Jahre als einen, in dem sich zwei Tendenzen finden lassen. Die erste sei eine konservativ-rückwärtsgewandte, die insbesondere durch den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl vertreten wurde. Kohl sei es darum gegangen ein „neues Geschichtsbild aus dem Kanzleramt heraus zu implementieren“. Er habe ein ungebrochenes Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte gewünscht, in dem der Holocaust nur ein Kapitel unter Vielen darstellen sollte. Zeitgleich habe es aber auch eine andere, progressive Strömung gegeben, ein Schlagwort in dieser Tendenz sei der Begriff der  „Geschichte von unten“ gewesen, zahlreiche lokale Geschichtsvereine seien in den 80er Jahren entstanden, und die jüdische Gemeinde sei in dieser Zeit in einem stärkeren Maße auch öffentlich sichtbar geworden.

Cilly Kugelmann, die in leitender Position für das jüdische Museum Frankfurt und für das jüdische Museum Berlin tätig war, beschreibt eine neue Welle der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Vernichtung der europäischen Juden zu Beginn der 80er Jahre, die durch die Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ ausgelöst wurde.

Joseph Cronin weist darauf hin, dass das Frankfurter Ghetto zur Zeit des Nationalsozialismus schon nicht mehr bestanden habe, andere hätten aber zur Zeit des NS noch bestanden, und seien von den Nationalsozialisten zerstört worden. Die Ruinen des Frankfurter Ghettos hätten also in der Auseinandersetzung der 80er Jahre symbolisch auch für die von den Nationalsozialisten zerstörten Ghettos gestanden.

Der Referent Prof. Nikolaus Hirsch hatte bei dem damaligen offenen Wettbewerb zur Gestaltung des Börneplatzes einen Entwurf eingereicht, den er jedoch erst in den 90 Jahren umgesetzte. In Hirschs Entwurf sind die abgetragenen Fundamentsteine des Ghettos in einen Kubus zusammengefügt. Sein Ziel bei der Gestaltung des Platzes sei es gewesen, den alten jüdischen Friedhof in den Platz, und das Denkmal in den Alltag zu integrieren. Am Denkmal sind Namensschilder der Frankfurter deportierten Juden angebracht.

Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Prof. Dr. Micha Brumlik betont die symbolische Bedeutung des Ortes. Der Börneplatz sei ein steinernes Zeugnis dafür (gewesen), dass es ein jüdisch-deutsches Leben gab, was aber unwiederbringlich verloren war.

In der Beschreibung der Autorin Eva Demski klingen bei der Beschreibung der Atmosphäre bei der Platzbesetzung fast romantische Töne an, es seien junge Leute gewesen, die mit ernsten Gesichtern auf den Steinen gesessen und Ludwig Börne zitiert hätten. Musiker aus dem Jazzkeller seien auch dazu gekommen. Es habe keine Rolle gespielt, ob man jüdisch sei, oder nicht. „Die, die da waren, hatten das Gefühl, es ging sie was an, und es ging sie auch was an!“.

Die psychologische und die politische Bedeutung des Konflikts lassen sich wohl kaum überschätzen, das wurde in der Veranstaltung spürbar und von den damals Beteiligten auch artikuliert. Die Entscheidung der Stadtregierung einen historischen Fund, und einen Erinnerungsort an jüdisches Leben in Deutschland hemdsärmlig abzuräumen, wurde von den Besetzerinnen als Unrecht erkannt. Angesichts dieser Situation konnte sich der Eindruck einstellen, dass die Auslöschung der Erinnerung an jüdisches Leben in der Nachkriegsgesellschaft fortgesetzt wurde, auch weil sich Erinnerung ohne Orte nur schwer einstellt.

Kampf um Erinnerung

Buchvorstellung ‚Noch ein Glück’ mit Trude Simonsohn

Trude Simonsohn erzählte ihre Lebensgeschichte, wie sie es schon seit Jahrzehnten tut, vor allem in Schulen, vor jungen Menschen. Simonsohn wurde als Jüdin von den Nazis verfolgt, inhaftiert, in das KZ Theresienstadt und später in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Am Freitag, den 6.11. stellte sie ihre Autobiographie ‚Noch ein Glück’ vor.

Die Veranstaltung wurde von Elisabeth Abendroth moderiert, die an der Entstehung des Buches beteiligt war. Eingeladen hatte der Förderverein der Rödelheimer Stadtbibliothek (FörSteR e.V.), der ebenso wie der Stadtteil eine Tradition in der Aufarbeitungsgeschichte hat. Elisabeth Abendroth nennt als Beispiele die Buchvorstellung von Sylvia Tennenbaums ‚Straßen von gestern’ und die erinnerungspolitische Arbeit des Ehepaars Klee. Schon seit Jahrzehnten kümmert sich Elisabeth Abendroth um die Verfolgten des Nationalsozialismus und um die Erinnerung an sie.

Trude Simonsohn empfindet es als Geschenk, ihre Jugend in einer Demokratie verbracht zu haben. 1921 wurde sie in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Simonsohn war an einer deutschen Schule. Dort wurden die Studienräte noch Professor genannt, ein Überbleibsel aus der k .u. k. Monarchie. An ihre Jugend und an ihre Schulzeit habe sie schöne Erinnerungen.

Eine Wende brachte das Jahr 1938. Im Münchener Abkommen gaben die Westmächte die Tschechoslowakei preis. Ihre erste persönliche Erfahrung mit Antisemitismus habe sie in ihrer Schulklasse gemacht. Bei einer Redeübung in Englisch. Eine Schülerin übersetzte einen Artikel aus dem Stürmer. Der Inhalt sei mehr oder weniger gewesen, die Engländer erkennen die Juden als Menschen an, wir aber nicht. Der Professor entschuldigte sich nach der Stunde bei Simonsohn.

Am 15.03.1939 marschierten die deutschen Truppen in die restliche Tschechoslowakei ein. Simonsohn erklärte daraufhin ihrem Vater, dass sie nicht mehr in die Schule gehen werde. Sie habe sich nur noch ihr Abschlusszeugnis abgeholt. Der erwähnte Lehrer sagte, dass er sie schützen werde, woraufhin sie geantwortet habe „Sie werden mich nicht schützen können“.

In der folgenden Zeit habe sie „Landwirtschaft gelernt“. Die Perspektive sei die Auswanderung nach Palästina, das Leben in einem Kibbuz gewesen. Simonsohn war in der zionistischen Jugendbewegung engagiert. Die Gruppe sei von offizieller Seite gewarnt worden, ihre Arbeit fortzusetzen. Auch mit dem KZ wurde gedroht. Damals hätten sie allerdings noch keine Vorstellung davon gehabt, was das bedeutete. Sie hätten dennoch weitergemacht und unter anderem jüdische Geschichte und Hebräisch gelernt. 1939 wurde die restliche Tschechoslowakei in das „Protektorat Böhmen und Mähren“ verwandelt. Von da an galten dort die Nürnberger Rassengesetze.

Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg. Am selben Tag wurde der Vater von Trude Simonsohn verhaftet. Nach einem Attentat auf Reinhard Heydrich 1942 in Prag werden von den Nazis Strafmaßnahmen gegen die Bevölkerung durchgeführt, auch Trude Simonsohn wurde verhaftet. In Brünn musste sie stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen, eine Situation die für Andere weder vorstellbar, noch nachvollziehbar sein könne, fügt Simonsohn an.

Inhaftiert war sie dort unter anderem mit tschechischen Widerstandskämpferinnen. Erst bei der Urteilsverkündung bekam sie den Inhalt der Anklage mitgeteilt: Hochverrat und illegale kommunistische Arbeit. Nach 5 Monaten wurde Simonsohn ohne Angabe von Gründen in Einzelhaft gesteckt. Gleichzeitig erhielt sie die Nachricht, dass ihr Vater in Dachau gestorben sei. Sie habe daraufhin jeden Lebensmut verloren. Aus diesem Zustand sei sie nur dadurch herausgekommen, dass ein Maurer, der gegenüber ihrer Zelle gearbeitet habe, ihr jeden Tag gut zugesprochen habe. Sie habe seinen Namen nie erfahren und habe sich nie bedanken können, sie würde sich aber noch heute an ihn erinnern. Das habe ihr auch gezeigt, wie viel „gute Worte“ bewirken könnten.

Manchmal seien andere Häftlinge zu ihr in die Zelle gesperrt worden. An eine Romafrau erinnere sie sich besonders gut. Die habe ihr aus der Hand gelesen, und ihr prophezeit, sie werde bald den Mann ihres Lebens kennen lernen. Nach 6 Monaten wurde Simonsohn entlassen. Ihr Heimatort Olmütz war inzwischen „judenfrei“.

Elisabeth Abendroth merkt an, dass jüdische politische Flüchtlinge aus Deutschland sofort umgebracht worden seien. Simonsohn sei aber von einem politisch in einen rassisch verfolgten Flüchtling verwandelt worden. Nur deswegen sei sie nach Theresienstadt gekommen. Trude Simonsohn beschreibt die zwei Jahre, die sie in Theresienstadt verbrachte, als schöne Zeit, auch wenn das unwahrscheinlich klingen müsse.

Es habe ein reiches kulturelles Leben in Theresienstadt gegeben, Vorträge seien gehalten worden, der Titel eines Vortrags sei bspw. gewesen ‚Judentum und Hellenismus’.

Auch gab es Opernaufführungen im KZ, etwa die Kinderoper Brundibár von Adolf Hoffmeister und Hans Krása. Deren Schlußchoral handelt von der gemeinsamen Stärke durch Solidarität.

Simonsohn erzählt auch, wie sie ihren Mann kennenlernte. Es sei ein Vortrag von einem Dr. Simonsohn angekündigt gewesen. Sie habe hingehen dürfen und sich einen alten Mann mit langem grauem Bart vorgestellt. Dann sei es aber ein junger, gut aussehender Mann gewesen.

Sie und Berthold Simonsohn wurden 1944 nach Auschwitz deportiert. Wenn sie überleben würden, wollten sie sich in Theresienstadt treffen. Als sie in Auschwitz ankam, habe sie sich zuerst duschen müssen. Anders aber als die deportierten Juden in dem Film „Schindlers Liste“ habe sie noch nicht gewusst, dass aus den Duschköpfen auch Gas hätte kommen können.

Ab diesem Zeitpunkt habe sie keine Erinnerung mehr an das, was in Auschwitz mit ihr geschah, sie erkläre sich das so, dass wenn der Körper einen zu starken Schmerz erlebe, man ohnmächtig werde, und dass es der Seele ähnlich ergehen könne.

Von Auschwitz sei sie nach Kurzbach in Schlesien gekommen. Weil ihre Kleidung nicht wie sonst üblich markiert gewesen sei, habe sie glücklicherweise untertauchen können. Sie habe sich Flüchtlingstrecks von Deutschen angeschlossen.

Zum Ende des Krieges arbeitete Simonsohn als Assistentin bei einem deutschen Arzt und überzeugten Nazi. Der Arzt habe im April 1945 noch zu ihr gesagt, dass, was immer die Russen nun den Deutschen antun würden, es niemals an das heranreichen würde, was die Deutschen den Russen angetan hätten.

Nach der Befreiung reiste Trude Simonsohn nach Prag. Dort erfuhr sie, dass niemand von ihrer Familie überlebt habe und ihr Mann in einem schlechten Zustand sei. Sie reiste nach Olmütz, obwohl dort niemand aus ihrer Familie mehr war. In Theresienstadt traf sie ihren Mann wieder.

Elisabeth Abendroth merkte dazu an, dass sich die Simonsohns sich schon früh mit Psychoanalyse befasst hätten und dass diese Kenntnisse ihnen halfen, nach dem traumatischen Geschehen weiterzuleben.

Das Ehepaar Simonsohn arbeitete später in der Schweiz, und zum Schluss in Frankfurt am Main.

Abendroth und Simonsohn haben den Johanna-Kirchner-Preis angeregt, mit dem zwischen 1991-1995 noch lebende Widerstandskämpfer geehrt wurden.

Weitere Termine der Buchvorstellung:

16.11.2015 um 20.00 Uhr Schwalbach, Stadtbücherei, Marktplatz 15
Buchpräsentation

05.12.2015 um 15.00 Uhr Schwalmstadt, Gedenkstätte und Museum Trutzhain, Seilerweg 1
Buchpräsentation

27.01.2016 Marburg
Buchpräsentation

Besonders empfehlenswert ist die Webseite: Eine Ausnahme. Überleben. Freundschaft. Widerstand. http://eine-ausnahme.de/

Die Seite ist ein Medienprojekt von Adrian Oeser und beinhaltet den/seinen Dokumentarfilm „Eine Ausnahme…“ und weitere Dokumente und Videomaterialien.

Der Film besteht aus Zeitzeuginnengesprächen mit Trude Simonsohn und Irmgard Heydorn.

Buchvorstellung ‚Noch ein Glück’ mit Trude Simonsohn