Gegenwart und jüdische Emanzipations-Geschichte

Preview zur Neueröffnung des jüdischen Museums in Frankfurt

Wenn man auf Googlemaps den Bertha-Pappenheim-Platz 1 in Frankfurt sucht, sucht man bisher vergeblich. Die App will einen nach Neu-Isenburg schicken. Dabei handelt es sich um die neue Adresse des jüdischen Museums. Die Frauen- und Sozialreformerin Bertha Pappenheim ist, nach einer Publikumsumfrage des Museums, zur Namensgeberin gewählt worden. Nebenbei ist sie auch als Anna O. in die Geschichte (der Psychoanalyse) eingegangen und vielleicht sogar die eigentliche Erfinderin des „talking cure“…

Die Direktorin Mirjam Wenzel verweist auch auf die Nähe des Museums zum Frankfurter Bahnhofsviertel. Bertha Pappenheim befasste sich in ihrem Kampf gegen Zwangsprostitution vor allem mit der Situation jüdischer Frauen aus Galizien.

Seit 2015 war das jüdische Museum wegen Sanierungs- und Umbauarbeiten geschlossen. Das Rotschildpalais wurde in dieser Zeit um einen Erweiterungsbau ergänzt, so dass nun eine wesentlich größere Ausstellungsfläche zur Verfügung steht. Der neue Eingang befindet sich im Erweiterungsbau, und nicht mehr, wie zuvor, am Untermainkai. „Lichtbau“ wird der vieleckige Neubau genannt. Im 1. Stock ist dort das koschere Restaurant „Deli“ zu finden. 

Die Dauerausstellung im neu eröffneten Museum befasst sich mit jüdischer Geschichte ab Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. „Von der Emanzipation bis heute“ beschreibt Mirjam Wenzel die thematische Spannbreite.

Zum Ende des 18. bzw. mit Beginn des 19.Jahrhunderts wurden mit den napoleonischen Kriegen und der Einsetzung des Großherzogs von Frankfurt, Dalberg, die Werte der französischen Revolution auch in Frankfurt praktisch umgesetzt. Das Ghetto wurde aufgelöst und Bürgerrechte waren nun nicht mehr ausschließlich Christen vorbehalten.

Wenn man bei der Gegenwart beginnt, gibt es eine virtuelle Begrüßung, die von „Was geht?“ bis „Hallo“ oder „Welcome“ reicht. Die Personen die einen begrüßen, könnten ein Aushub, an einem beliebigen Tag, in einer beliebigen Einkaufsstraße sein. Mirjam Wenzel beschreibt, sie sei genervt, dass Juden oft mit einer bestimmten Physiognomik oder Kleidung dargestellt würden. 

Dann geht es um die Gegenwart. Ein koscheres Restaurant in Frankfurt wird vorgestellt, das nach einer New-Yorker-Gang benannt ist. Daneben ein Schnaps, der nur dort ausgeschenkt wird und mit Sukkot, dem Laubhüttenfest, in Verbindung steht.  

Wenige Schritte weiter geht es um prominente jüdische Stadtabgeordnete. Unter anderem ist dort ein Jugendbild des amtierenden Oberbürgermeisters zu sehen.

Die Ausstellung pendelt zwischen Objekten und Personen. Während es in den 60er Jahren in der jüdischen Gemeinde eher eine Stimmung gegeben habe, das Land zu verlassen, sei in 70er und 80er Jahren eine Veränderung eingetreten, beschreibt Wenzel. Sie verweist jedoch auch darauf, dass die Juden aus den Displaced-Persons-Camps nach dem Krieg nicht unbedingt freiwillig im Land blieben. Oft war der Grund, dass kranke und/oder traumatisierte Familienangehörige kein Visa bekommen konnten.

Die veränderte Haltung in den 70er und 80er Jahren beschreibt Mirjam Wenzel mit einem Wort von Salomon Korn: „Wer ein Haus baut, will bleiben und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit“.

Dennoch wird deutlich, dass jüdische Geschichte nach 1945, auch eine Geschichte des Antisemitismus ist. In der Ausstellung wird ein Abriss antisemitischer Skandale nach 45’ gegeben. Kurz nach dem Krieg, der Versuch eines Offenbacher Oberbürgermeisters die Berufung des Arztes Herbert Lewin zum Leiter eines Klinikums zu verhindern, in den 70er Jahren die Auseinandersetzung um das Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“, bei dem schließlich jüdische Gemeindemitglieder die Bühne besetzten und in der jüngeren Geschichte antisemitische Angriffe auf den Fußballklub „Makkabi“. 

Wesentlich aber als Bezugspunkt, bleibt auch der Ort, das Rothschildpalais. Vielleicht weniger bekannt ist, dass sich dort im 19. Jahrhundert eine der ersten öffentlichen Bibliotheken befand. Auch an diese Tradition wird angeknüpft, durch einen Bibliotheksraum, der nicht nur Fachpublikum zur Verfügung steht. Mirjam Wenzel betont, die Bibliothek solle explizit ein „öffentlicher Ort“ sein, der kostenfrei besucht werden könne.

Es sind zahlreiche Geschichten, die das neue, alte Museum erzählt. Neben der Gegenwart und dem 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert werden explizit Geschichten Frankfurter Familien erzählt: Die der Familie Rothschild (Projektionsfläche zahlreicher Verschwörungstheorien), die Geschichte der Familie Senger und die Geschichte der Familie Frank.

Wohl einer der ältesten Sammlungen, die religiösen Ritualgegenstände, bleiben Teil der Ausstellung, wurden jedoch nach sinnlichen Qualitäten neu angeordnet. Viele der Rituale würden sich mit der Erinnerung an den Tempel, bzw. der Erinnerung an die Zerstörung des Tempels befassen, so Wenzel.

Die Vielstimmigkeit und Vielseitigkeit der Ausstellungskonzeption ist überzeugend. Mit den zahlreichen Gegenwartsbezügen, oder auch den Bezügen zur jüngeren Vergangenheit werden viele politische Fragen aufgeworfen. Wo auf dialogische oder mediale Mittel zurückgegriffen wird, sind diese eher zurückhaltend eingesetzt.

Gegenwart und jüdische Emanzipations-Geschichte

Kämpfen lernen!

Der Dokumentarfilm „Luft zum Atmen“ erzählt die Geschichte der Gruppe GOG (Gruppe oppositioneller Gewerkschafter) die für den Betriebrat kandidierten und über Jahrzehnte erfolgreich Kämpfe um Arbeitszeit und Lohn bei Opel Bochum führten.

Die Filmemacherin Johanna Schellhagen hat aus Interviews und Archivmaterial eine gelungene Dokumentation erstellt.  

Opel Bochum wurde 1962 als größtes Produktionswerk in Europa gegründet. 1972 sammelte sich eine Gruppe aus Opelarbeitern mit verschiedenen politischen Hintergründen (KPD, linke Grüne und Sozialdemokraten) um für den Betriebsrat zu kandidieren.

Eine Besonderheit scheint die Struktur der Gruppe gewesen zu sein, die neben den Betriebratskandidaten eine hohe Zahl an Unterstützern um sich scharte, die gleichberechtigt an den Diskussions- und Bildungsprozessen teilnahmen. Es sei dort eine „bessere Atmosphäre als bei der Gewerkschaft“ gewesen, beschreibt ein Unterstützer. Die Beziehungen seien auf Augenhöhe gewesen.

Die Gründung der GOG fiel in eine Zeit zwischen zwei Massenstreiks, den von 1969 und den von 1973. Mit den 68ern habe man zudem auch eine starke Jugendbewegung im Rücken gehabt. Auch die Massenstreiks in Frankreich von 1968 werden erwähnt. „Von den 68ern an den Unis, hat es ja auch eine starke Orientierung auf die Arbeiterklasse gegeben. Einige sind auch in die Betriebe gegangen.“ so der GOG-Unterstützer Robert Schlosser. Durch diese „revolutionäre Stimmung“ habe man das Gefühl gehabt, es sei „eine gute Zeit um Forderungen zu stellen“.

In der GOG, bzw. beim Unterstützerkreis, seien viele gelandet, die „von Hause aus eine kommunistische Erziehung in den Knochen hatten“. Zudem habe es in den 1970ern bei Opel Bochum 2000 Arbeiter aus Spanien gegeben, die politisch auch eher links standen.

Ein ehemaliger Lehrling beschreibt, dass die Leute aus der GOG-Gruppe auch härter in den konkreten Auseinandersetzungen waren, „die haben gegenüber den Meister nicht Bitte, Bitte gesagt“.

Ihre Nähe zur Belegschaft und die kämpferische Haltung brachten der Gruppe beachtliche Erfolge ein. Konnten sie 1972 schon 2000 Stimmen (von 18.000) gewinnen und damit 5 Betriebsratssitze einnehmen, kamen sie 1975 auf ein Drittel der Stimmen.

Sie hätten eben „eine andere Art von Politik“ gemacht, konstatiert Johannes Szafranski (GOG) und damit auch die Gewerkschafter gezwungen gewesen „aus ihren Büros rauszukommen“. Die Zuspitzung zwischen der GOG und den anderen Betriebsratsmitgliedern sei jedoch immer schärfer geworden.

Auch unter den „Gastarbeitern“ gab es bei Bochum kämpferische Protagonisten. So gibt ein Unterstützer an, dass eine Rede des spanischen Arbeiters Andreas Lara ihn erst politisiert habe. Lara wurde allerdings dann fristlos entlassen. Die Gründe bleiben unklar.

Viele GOG-Mitglieder wurden wegen ihrer Aktivitäten aus der Gewerkschaft ausgeschlossen.

Als Konfliktpunkt mit der IG-Metall wird immer wieder genannt, dass die Gewerkschaften, mit ihrer Position die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen erhalten zu müssen, den Arbeiterinteressen eklatant entgegenstanden. Die sogenannte Sozialpartnerschaft sei zu Lasten der Arbeitnehmer geschlossen worden. Das Agitieren der Gewerkschaften gegen unliebsame Arbeiter sei so weit gegangen sein, dass die Gewerkschaft sich an der Erstellung schwarzer Listen beteiligte, um „Unruhestifter“ aus den Betrieben herauszuhalten.   

Der Erfolg der Betriebsgruppe war jedoch auch an die wirtschaftliche Lage gebunden.

Die Wirtschaftskrisen 1973/74 und 1978/79 seien nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen. „Die Aufmüpfigkeit war nicht mehr vorhanden“, beschreibt ein Unterstützer.

Ab den 1990ern Jahren habe das Ausspielen der verschiedenen Standorte gegeneinander begonnen. Die Produktionskosten in Deutschland, England, Spanien, Mexiko (wo sie nur noch 12% betrugen) seien verglichen worden und hätten auf Stellwänden ausgehangen, berichtet Wolfgang Schaumberg.

Dem hätten sie versucht durch Vernetzung entgegenzuwirken. Besuche in Frankreich, Spanien und England wurden unternommen, wie auch der Film dokumentiert.

2004 folgte einer der größten „wilden“ Streiks der Nachkriegsgeschichte. Die Drohung der Entlassung von 4000 Arbeitern führte zu einem Produktionsstopp von beinahe einer Woche. Da Opel Bochum damals ein Komponentenwerk gewesen sei, habe dies zu erheblichen Ausfällen bei allen GM-Werken in ganz Europa geführt. Allerdings wurde der Streik dann abgebrochen. Die Abstimmung sei autoritär von der Gewerkschaft organisiert gewesen. So habe es keine Diskussionsmöglichkeit vor der Abstimmung gegeben und die Abstimmungsvorlage sei so formuliert worden, dass die Arbeitsaufnahme und die Aufnahme von Verhandlungen mit der Geschäftsführung verbunden worden seien. Mit dem Abbruch des Streiks habe man den Trumpf aus der Hand gegeben.

Der Beschluss Opel Bochum zu schließen gehe auf eine Absprache der IG-Metall mit der Geschäftführung zurück, die gleichzeitig den Erhalt der anderen Standorte beinhaltete. Allerdings hätten sie die höchsten Abfindungen durchsetzen können, die je in Deutschland von einem Industrieunternehmen gezahlt worden seien.

Im Rückblick der gewonnenen und verlorenen Kämpfe fällt das Wort „Abwehrkämpfe“ gegen die ständigen Angriffe der Geschäftsführung, die die Namen Lohnverzicht, Ausgliederung (von Belegschaftsteilen), Massenentlassungen und Produktionssteigerung tragen.

In der abschließenden Diskussion wird dann aber noch mal der entscheidende Aspekt der Selbstermächtigung betont. Es gehe darum die Haltung „da kann man sowieso nichts machen, die machen doch eh was sie wollen“ beantworten zu können mit „Doch, da kann man etwas machen!“

Weitere Aufführungstermine:

Saarbrücken
Kino 8 1/2 (29. Januar 2020, 19h in Anwesenheit der Filmemacherin)

Bremen
Cinema am Ostertor (13.Februar 2020)

Rüsselsheim
Museum Rüsselsheim (5. Mai 2020 in Anwesenheit der Filmemacherin)

Kämpfen lernen!

Erinnerungsort — EZB

Am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bot das jüdische Museum eine Führung durch die Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle an. Von dort wurden 10.000 Frankfurter Juden in Vernichtungslager und Ghettos deportiert. Nur wenige überlebten.

Heute residiert auf dem Gelände die Europäische Zentralbank. Die Widersprüche, die sich aus den zwei Ansprüchen eines eigentlich öffentlichen Erinnerungsortes, und der Nutzung durch die Finanzinstitution auftun, wurden bereits am Einlass deutlich. Das Betreten ist nur nach frühzeitiger namentlicher Anmeldung möglich. Nicht namentliche Anmeldungen, auch bei vorhandenen Ausweispapieren, wurden nicht akzeptiert. Einige Besucher mussten zurückgelassen werden. Die Führung fand zudem in steter Begleitung eines uniformierten Securitys statt.

Die Erinnerungsstätte liegt im östlichen Teil des EZB-Gebäudes

Das Gebäude wurde nach seiner Erbauung 1928 mehrfach verändert. Zuerst nach einem Kriegsschaden, zuletzt im umfassenden Maße nach Erwerbung durch die europäische Zentralbank. Genutzt wurde es bis 2004 für den Marktbetrieb der Großmarkthalle. Der Erinnerungsort wurde 2015 eröffnet und durch das Architekturbüro KatzKaiser gestaltet. 

Das Umfeld des Gebäudes ist in vielerlei Hinsicht mit jüdischer Geschichte verbunden.

Es liegt an der nach Leopold Sonnemann benannten Sonnemannallee, der Herausgeber der Frankfurter Zeitung, aber auch Initiator zahlreicher kultureller und technischer Innovationen war.  

Das sich anschließende Viertel, das Frankfurter Ostend, galt im 19. und frühen 20. Jahrhundert als „das jüdische Viertel“ wie Stadtführer Jürgen Steinmetz betont. 40% der Bevölkerung im Ostend war jüdisch, darunter viele Ostjuden.  

Die Verschleppung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Frankfurt sei unterschiedlich abgelaufen, so Steinmetz. Während bei der ersten Deportation 1941 die Menschen noch aus ihren Wohnungen geholt worden seien, seien sie später vor der Deportation oftmals in Ghettohäusern eingesperrt gewesen.

Zynischerweise ging der Betrieb der Großmarkthalle während der Deportationen unvermindert weiter. Während in den Kellerräumen Menschen ihres Besitzes beraubt, eingesperrt, misshandelt und schließlich zur Ermordung in Züge gezwungen wurden, wurde oben Gemüse verkauft.

Die Erinnerungsstätte besteht vornehmlich aus in Stein gravierten Zitaten, die den Weg bis zur Rampe, und auch im Innenbereich den Kellergang bis zum Sammlungsraum säumen.

Die Zitate stammen von Deportierten und Zeitzeugen, sind Briefen und Tagebucheinträgen entnommen, von wenigen Überlebenden gibt es auch nachträgliche Beschreibungen.

Das erste Zitat am Hauptgebäude stammt von der Frankfurterin Tilly Cahn. Sie und ihr Mann wurden vorerst in das Ostend zwangsumgesiedelt. Max Cahn durfte seinen Beruf als Anwalt nicht mehr ausüben. Tilly Cahn und ihr Mann hatten zu jeder Gesetzgebung der Nazis (Von Pressegesetzen bis zu der Entrechtung der Juden) die ab 1933 erlassen wurden Kommentierungen verfasst, die posthum von ihren Nachkommen herausgegeben wurden. Tilly Cahn schrieb 1942:

„1100 Juden bekommen die Nachricht, dass sie sich zum Abtransport am 7. Mai bereithalten sollen, bis 65 Jahre. Leid und Jammer lassen sich nicht schildern. Reiseziel unbekannt, nur wenig Gepäck gestattet, genaue Liste ist auszufüllen über alles, was sie zurücklassen, organisierter Raub.“

Die Aussagen von denjenigen, die im NS in der Großmarkthalle beschäftigt waren sind spärlich. Im Außenbereich findet sich das Zitat einer Sekretärin:

„Als ich morgens ins Büro kam, standen auf den Gleisen weiter draußen geschlossene Waggons, die von der Gestapo bewacht wurden. Das alles hat sich mehrmals wiederholt. Und nicht nur ich wusste, was da geschah, viele wussten es.“

Auf dem Weg über die Rampe durch den Kellergang findet sich ein Zitat der Journalistin Lili Hahn von 1941 dass die unmenschliche Situation der Eingesperrten beschreibt:

„Mittlerweile war es Abend geworden. Noch immer standen die Menschen zusammengepfercht wie das Vieh. Aber Tiere werden besser behandelt. Diese armen Menschen, bei denen die SA morgens um sieben Uhr eingedrungen war, hatten nicht einmal etwas zu essen oder zu trinken. Sie standen so dicht gedrängt in ihren durch dicke Seile abgetrennten Gevierten, dass immer nur einige von ihnen auf ihren Koffern sitzen konnten.“

Stadtführer Steinmetz beschreibt die Abfertigung der Menschen. Ein bürokratischer Vorgang, der das Aberkennen der (noch vorhanden) Bürgerrechte mit Demütigungen und Misshandlungen verband. Mit der „Denaturalisierung“ wurde den Menschen die Staatsbürgerschaft aberkannt, darauf folgten Leibesvisiten, der Diebstahl der noch vorhandenen Wertsachen, die erzwungene Abgabe der Wohnungsschlüssel und der vorher aufgestellten Inventarlisten. Zum Schluss sei eine Kennkarte erstellt worden und die Menschen hätten für die Deportation 50,- DM bezahlen müssen.

Die letzten Deportationen von der Großmarkthalle, so Steinmetz, wurden noch im Frühjahr 1945 (14.Februar und 15.März) durchgeführt „als die Amerikaner schon an der Mosel standen“. Das Ziel der Vernichtung der Juden wurde bis zuletzt verfolgt.

Erinnerungsort — EZB

Rund um den Berliner Lustgarten

In Berlin dauert jeder Weg eine halbe Stunde – für Touris allerdings doppelt so lang. Die Berliner sind (vielleicht auch wegen der großen Abstände) immer in Eile. Im Fahrradmarathon gehetzter Einheimischer befindet sich der orientierungslose Nicht-Berliner in Lebensgefahr. Alle sind immer unglaublich busy, selbst die Arbeitslosen sind vom Rhythmus der Metropole getrieben. Oder simulieren alle nur Geschäftigkeit?

Um vierspurige Straßen zu queren braucht es eindeutig Hauptstadt-Kompetenz, es verbleibt dennoch eine Restgefahr als überfahrener Osterhase zu enden. Eigentlich lässt sich das alles nur mit Alkohol ertragen. In den Berliner Kneipen finden sich ausreichend Mittrinkerinnen. Beim Betreten der Lokalitäten meditieren bereits einige mit ausdruckslosem Gesicht vor dem Bierglas.

Magischer Anziehungspunkt für Verrückte aller Art ist der Bundestag. Draußen wird gegen tödliche Handystrahlung und Abtreibung demonstriert. Unter einem Pavillon-Zelt wird die Existenz der BRD angezweifelt, dazu ertönt Marschmusik.

Natürlich gibt es auch die anderen, die süßen Berliner, die beinahe wie aus einer Geschichte von Erich Kästner wirken. Auf der Museumsinsel führt ein sehr aufrecht gehender Herr (Typ: Liftboy der 20er Jahre) eine Gruppe Japaner durch die ägyptische Abteilung „Det is eene Tempeldecke die hier nachjebildet wurde, da sin alle Sternzeichen, sehen se“ proklamiert er mit pädagogischem Eros. Es folgt die japanische Übersetzung..:-).()((__/

Im Berliner Dom, der eigentlich keiner ist (ein Dom ist immer Bischofssitz, und den gab es in Berlin nie) zeigt sich der Protestantismus erstaunlich und auf katholische Weise überladen. Eben wie eine barocke Kuckucksuhr. Wo eine einzige gereicht hätte, sind vier kannelierte Kompositsäulen nebeneinander gebündelt. Hier wird man von beflissenen Führern auf der Suche nach Kundschaft angesprochen, ob man deutsch spreche. Ein verzweifelter Rentner stöhnt leise „Ich will hier nur sitzen“.

Die evangelischen Ketzer haben sich bekanntlich von den zahlreichen Heiligen der Katholiken verabschiedet. (Eigentlich ein bisschen schade, weil man auf katholisch für verlorene Gegenstände den heiligen Antonius und für verschluckte Fischgräten den heiligen Blasius anrufen konnte). Stattdessen stehen dort nun die Frontfiguren der Reformation (Luther, Calvin und Co). Vorher spinnefeind, wurden sie in der unionistischen Kirche vereint. Im Deckengewölbe wird Seligkeit versprochen „Selig sind die geistlich Armen“.

Eigentlich beruhigend, auch wenn man gerade nicht so hell auf der Platte ist, wird man geliebt. Im Seitentrakt liegen die barocken Prachtsärge des ersten Preußenfritzen und seiner intellektuell überlegenen Gattin Charlotte.

Wie nun all dem überladenen Kitsch entkommen? Zuerst soll man eine Gruft mit zahllosen Hohenzollern-Särgen durchschreiten. Es riecht nach Desinfektionsmitteln und abgestandenen Hohenzollern. Wie üblich ist der Weg zum Ausgang listigerweise so gestaltet, dass der Museumsshop unumgänglich ist. Pseudo-mittelalterliches Lautengezupfe verfolgen einen bis zum Ausgang durch das Museumscafé, von dem aus man dann über eine Art Katzenloch endlich wieder das Tageslicht erreicht.

Gegenüber der Museumsinsel wurde das Stadtschloss wieder aufgebaut. Der Palast der Republik wurde schon vor Jahren platt gemacht und die leere Stelle wieder mit preußischen Traditionslinien gefüllt. Vom Schloss aus rief 1918 Karl Liebknecht die Republik aus, Philipp Scheidemann tat dies knapp vorher vom Reichstag aus. Die linke Version der Republik wurde mit dem Spartakusaufstand kurz darauf blutig niedergeschlagen. Die SPDler gingen dazu ein Bündnis mit den alten kaiserlichen Kräften ein, mit bekannten fatalen Folgen für ihre Version der Republik.

Die wiederentdeckte Liebe zu den alten preußischen Bauten zeigt sich auch im geplanten Wiederaufbau der Bauakademie von Schinkel. Ein Bau in lieblichem schweinchenbacksteinrosa. Am Bauzaun prangt ein Schild „Preußen goes Europe“, was durchaus als Drohung verstanden werden kann. Hinter Schloss und Bauakademie lugt etwas frech der Regierungssitz der alten DDR-Regierung hervor. Für den Bau wurde ein Teil des alten preußischen Schlosses verwendet, der links und rechts durch sozialistische Nachkriegsarchitektur ergänzt ist.

In einer weiteren verschinkelten Ecke von Berlin liegt das Lokal Lutter’s Weinstube. Genau genommen an der Rückseite des Schauspielhauses von dessen Dach ein verzweifelter Pegasus in die Enge der Friedrichsstraße zum Todessprung ansetzt. In der Weinstube (dem ehemaligen Wohnhaus von E.T.A. Hoffmann) scheint die Belegschaft nach dem Kriterium größtmöglicher Ähnlichkeit mit Hoffmanns Figuren ausgewählt worden zu sein.

In einer Ecke schaut ein nussknackerartiger Mausekönig mit trüben Äuglein auf die Speisekarte in Büttenpapier. Nachdem er mehrmals laut vor sich hingeseufzt hat, fragt ihn eine Dame vom Nebentisch (Typ: Tante Dorothee aus „der kleine Vampir) was er denn habe. Er antwortet traurig „Eigentlich hab ich heute Geburtstag…“. „Herzlichen Glückwunsch!“

Bei der Bestellung faucht der Kellner (Eine Mischung aus Kater Murr und Klein-Zack): Was wollen Sie denn noch? Wenn ich Berlin als Ganzes auf mich wirken lasse, frage ich mich das eigentlich auch.

Nach Bundestag, Museumsinsel, Dom, Berliner Schloss (aus der Ferne), Gendarmenmarkt, Bauakademie, Lutter’s Weinstube fehlt bloß noch die städtebauliche Krönung: Der Flughafen Schönefeld, Eröffnung schätzungsweise 2030. Dann komme ich wieder!

Stadtschloss, ehemaliger Sitz der DDR-Regierung, Schinkels Bauakademie
Schinkels Bauakademie
Rund um den Berliner Lustgarten

„Wir waren bunte Hunde“


Stadtrundgang mit den Senger-Kindern

Unter dem Titel „Mein Frankfurt – Stadtspaziergang mit Ionka Senger und Rüdiger Kreuter“ bot das jüdische Museum diesen Sonntag zahlreichen Besuchern die Möglichkeit mehr über die Familiengeschichte der Sengers und, damit verbunden, über NS-Geschichte und Nachkriegszeit im Frankfurter Gallus-Viertel zu erfahren.

Die beiden Vortragenden sind Kinder des Journalisten und Autoren Valentin Senger, der durch seine Autobiographie „Kaiserhofstr. 12“ Berühmtheit erlangte. In der Biographie schildert Senger wie die jüdische Familie in Frankfurt die NS-Zeit überlebte. Eine Ausnahme. Im Neubau des jüdischen Museums, das Ende 2019 eröffnet werden soll, wird die Geschichte der Familie Senger Teil der neuen Dauerausstellung sein.

Sengers Kinder führen an diesem Tag durch das Frankfurter Gallus-Viertel, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht haben. Beide tuen dies mit Leidenschaft und erzählerischem Talent –  auch wenn die Technik der Headphones manchmal nicht mitspielt.

Der Lokalkolorit ist insbesondere Rüdiger Kreuter deutlich anzuhören „Isch bin noch ganz krumpelisch, es ist noch zu früh“, das Wetter ist kühl aber sonnig und es haben sich zahlreiche Interessierte eingefunden. Die erste Station ist der Saalbau Gallus in dem 1968 der Ausschwitzprozess begann.

Doch vorher gibt es noch einen kurzen Stop mit Blick auf die Societäts-Druckerei. Ionka Sänger berichtet, dass mit diesem Ort ihre ersten politischen Erfahrungen verbunden seien. Nach der Ermordung von Rudi Dutschke in Berlin zogen die Studierenden nach einer Veranstaltung mit Wolfgang Abendroth dorthin, um die Auslieferung der dort gedruckten Bild-Zeitung zu verhindern. Das Blatt hatte vor der Ermordung monatelang gegen den Studentenführer eine Hetzkampagne betrieben. Einige der Veranstaltungsteilnehmer erinnern sich auch an den Tod von Günther Sare in den 80er Jahren, der von einem Wasserwerfer der Polizei überfahren wurde. Der Antrag, den Platz nach dem getöteten Demonstranten zu benennen, wurde abgelehnt. Viel Geschichte auf engem Raum.

Der Auschwitzprozess im Gallus

Nachdem der Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung sich als zu klein für den Ausschwitzprozess erwiesen hatte, wurde der Prozess in den Saalbau Gallus verlegt. 22 waren damals angeklagt, alle waren in Ausschwitz „tätig“ gewesen. Rüdiger Kreuter beschreibt die damalige Situation. „Das kann man sich nicht vorstellen, die Polizei hat salutiert vor den NS Verbrechern“. Es habe einen absolut unverschämten Umgang mit den Zeugen gegeben. Am deutlichsten sei ihm der Verteidiger Dr. Stolting im Gedächtnis geblieben „Das war der kälteste Mensch, der mir je begegnet ist“. Stolting habe die schwer traumatisierten Zeugen angeschrien.

Die Gesetzeslage war damals allerdings eine andere als heute, da jedem einzelnen die Mordbeteiligung nachgewiesen werden musste. Organisatoren des Massenmords, sogenannte Schreibtischtäter, konnten sich so oft aus der Verantwortung stehlen. Die Tonbänder des Prozesses sollten ursprünglich direkt nach dem Prozess vernichtet werden, was glücklicherweise nicht geschah. Die Bänder lagerten über Jahrzehnte beim Hessischen Rundfunk.

Doch die Angeklagten erhielten nur geringe Strafen. Niemand musste die Höchststrafe von 15 Jahren absitzen, einige wurden freigesprochen. Kreuter war bei drei Prozesstagen dabei. Ionka Senger fügt hinzu: „Es war nicht auszuhalten dem gesamten Prozess zu folgen“.

Bei der Familie Senger gingen Überlebende und Angehörige ein und aus, „kommunistisch oder jüdisch, das war uns schnurz“ sagt Ionka Senger. „Die haben dann gefragt, ob mein Vater wüsste wo der oder der abgeblieben ist, wenn der dann wusste, der wurde deportiert, brachen die Menschen oft in Tränen aus. Wir haben viele Menschen mit eintätowierten Nummern gesehen“ erinnert sich Ionka Senger.

Gallus-Viertel und Adler-Werke

Das westlich der Galluswarte liegende Areal des Viertels, aus dem auch die Geschwister kommen, wird oft als Kamerun bezeichnet. Ionka Senger führt das darauf zurück, dass auf dem alten Flughafen (dem Rebstockgelände) Rekruten trainiert wurden, die in der deutschen Kolonie Kamerun eingesetzt wurden.

Zurück auf der Mainzer Landstraße weist Rüdiger Kreuter auf die Nummer 293 hin. Da sei in den 20er Jahren Ikas Schuhfabrik gewesen. Der jüdische Fabrikant habe hauptsächlich Pantoffeln hergestellt. Da er aber darüber hinaus eine große Leidenschaft für den Fussball gehegt habe, soll er Fußballer der Eintracht zu guten Bedingungen in seiner Firma beschäftigt haben. Diese Querfinanzierung habe dazu geführt, dass die Frankfurter Fussballer als „Schlappekicker“ (Pantoffeln heißen auf frankfurterisch Schlappen), oder auch als „Juddebubbe“ beschimpft wurden. Die Firma wurde im NS enteignet, der Besitzer musste in die USA auswandern.

Der nächste Halt ist kurz vor den Adlerwerken in der Lahnstraße. Dort wohnte der Schriftsteller Hans Frick, ein Freund der Familie. In „die blaue Stunde“ beschrieb er seine Kindheit als „Halbjude“ im NS. Als sein Roman „Breinitzer“ bei den Sengers diskutiert wurde, seien die Kinder allerdings rausgeschickt worden.

Kreuter verweist immer wieder auf Fabriken, die es heute zum Großteil nicht mehr gibt. Die Lampenfabrik Bünte und Remmler stellte unter anderem die berühmte Wagenfeld-Lampe her. Dabei wird auch der Wandel vom industriell geprägtem Viertel zum Wohnquartier deutlich.

Der „Golub-Lebedenko-Platz“ kurz vor den Adlerwerken ist nach zwei jungen Männern benannt, die 1945 aus dem KZ der Adlerwerke flohen und von der SS erschossen wurden.

Die Adlerwerke, die sich früh in der Rüstungsindustrie betätigt hatten, errichteten das drittgrößte Zwangsarbeiterlager in Frankfurt (nach dem IG-Farben und der VDM). Die ersten Baracken für französische Häftlinge wurden dort 1941 errichtet, später kamen russische Gefangene hinzu. 1944 wurde dort das Außenlager des KZ Netzweiler errichtet. 1600 Häftlinge aus Dachau und Buchenwald wurden dort wöchentlich zu 84 Stunden Zwangsarbeit gezwungen. Nur wenige der Häftlinge überlebten. „Es wurde lange versucht zu verschleiern, dass dort ein KZ war“, so Ionka Senger.

An der Kleyerstraße liegt auch das Gebäude der ehemaligen Konsum-Zentrale für Frankfurt und Umgebung, „der Konsum“. Das Ziel der Genossenschaft war es, preisgünstig Lebensmittel für Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Doch diese genossenschaftlichen Modelle (ein anderes Beispiel ist auch die Bank für Gemeinwirtschaft) seien in den 80er Jahren abgestorben, so der Veranstaltungsteilnehmer und ehemalige DGB-Landesvorsitzende Dieter Hooge.

Vorbei geht es auch an den ehemaligen Werken von Teves und „Telefonbau und Normalzeit“. Die Gewerkschaft hatte sich einst damit gerühmt, dass 95% der Arbeiter der Teves-Werke gewerkschaftlich organisiert seien, berichtet Rüdiger Kreuter.

In der Arbeitersiedlung

Valentin Senger und seine Frau waren Mitglieder der KPD „da gehörte es dazu, dass man vor Arbeitsbeginn Flugblätter verteilte“ berichtet Ionka Senger. Kreuter fügt hinzu, dass auch die Kinder manchmal dabei halfen „das waren ja nur zwo“. Die Friedrich-Ebert-Siedlung, wo die Familie nach dem Krieg ihre erste Wohnung beziehen konnte, war ein Arbeiterviertel. „Mit einem hohen Organisationsgrad“ wie Rüdiger Kreuter betont. Er habe mal nachgeschaut und nach dem Krieg (vor dem KPD-Verbot) hätten dort 50% die SPD gewählt und 25% die KPD.

Im Viertel seien sie allerdings „bunte Hunde“ gewesen: staatenlos, nicht religiös, intellektuell. Der Vater Valentin sei auch dadurch aufgefallen, dass er täglich mehrere Tageszeitungen abonniert hatte. Die neue Wohnung in der Kleyerstraße 106 war eine sogenannte Notwohnung. Die bald 4-köpfige Familie lebte auf 46 Quadratmetern. Die Häuser waren aus „Sauerkrautplatten“, einer Mischung aus Kriegsschutt und Zement gebaut. Die Kleyerstraße war zu dieser Zeit allerdings eine Sackgasse und keine Durchfahrtsstraße „für mich war das das Paradies“ sagt Kreuter. Die Wohnung war hell, die Kaiserhofstraße war „ein Loch“ gewesen, dunkel und Ungeziefer habe es dort gegeben. In der Kleyerstraße habe man vor Arbeitsbeginn ein lautes Summen gehört. Das seien die Arbeiter auf ihren Fahrrädern gewesen. Autos habe es da noch kaum gegeben. Die Leute seien entweder mit dem Rad oder der Straßenbahn gekommen.

„Die Bude war immer voll“ erzählt Ionka Senger, Genossen und Überlebende hätten sich bei ihnen getroffen. Am Anfang habe Valentin Senger für die Sozialistische Arbeiterzeitung gearbeitet, dort sei er als Lokal-und Kulturredakteur tätig gewesen, später kamen Sendungen für den Schulfunk des Hessischen Rundfunks dazu.

Im gleichen Haus habe auch ein SPDler gewohnt, der im KZ gewesen war, ein anderer Nachbar war bei der SS. Wegen seines politischen Engagements war der Sengersche Haushalt auch Ziel polizeilicher Repression. Kreuter sagt dazu „Wenn bekannt wurde, dass Polizisten hier aus dem Viertel eine Durchsuchung beim ‚Valli‘ gemacht haben, dann durften die abends nicht zum Stammtisch, man war hier schon eingebunden“. Die Arbeiterkneipe von damals heißt heute „Zum Mirko“. Die Sengers seien dort aber schon manchmal angeeckt. Zum einen seien die Eltern immer zu spät zu den Parteitreffen gekommen, und dann sei die Mutter auch noch im Pelzmantel erschienen. Die Mutter sei eben eine bildschöne Frau gewesen, die das wusste und auch repräsentierte. „Das war nicht in“ kommentiert Ionka Senger.

In der gleichen Straße befanden sich auch zwei Arbeitersportvereine. Der jüdische Sportverein wurde 1938 zwangsaufgelöst, „der Straßenbahnersportverein wurde dann dort reingesetzt“ so Kreuter. Die Senger-Geschwister waren als Kinder und Jugendliche bei den Falken organisiert. Überhaupt seien viele Kinder im Viertel in Organisationen gewesen, bei den Naturfreunden, den Falken oder in der evangelischen Jugend. In der Schule hätten sie aber meistenteils Lehrer gehabt, die noch in der Nazizeit ausgebildet worden waren. Die hätten dann Hitlers Autobahnen gelobt und an Kritik höchstens mal formuliert „des mit den Juden war net in Ordnung“.

Parteiausschluss und Einbürgerung

Der soziale Aufstieg sei dann mit einer festen Anstellung von Senger beim HR zu Beginn der 60er Jahre gekommen. Vorher habe der Vater noch für die Nachrichtenagentur der DDR (ADN) geschrieben und in Folge dessen, oder auch im Zuge des KPD-Verbots, hätten bei der Familie immer wieder Hausdurchsuchungen stattgefunden. Ende der 50er konnte die Familie schließlich ein Haus dicht an der Mainzer Landstraße beziehen, das jedoch im selben Viertel liegt.

Als Valentin Senger die Rede von Chruschtschow zum Parteitag der KPDSU verbreitete, in der Chruschtschow mit dem Stalinismus abgerechnet hatte, wurde Senger aus der KPD ausgeschlossen.

Die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt Valentin Senger erst zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches „Kaiserhofstraße 12“. Diese war ihm über 20 Jahre verweigert worden. Das habe auch die Kinder zeitweise betroffen. So habe Innenminister Höcherl sich damals geäußert, dass ein Vater der in der KPD sei, keine demokratische Erziehung gewährleisten könne, so Ionka Senger. Sie endet mit einer Anekdote. Als Senger die Urkunde Anfang der 80er Jahre endlich abholen konnte, habe dort noch derselbe Beamte gesessen, bei dem er 1958 den Antrag gestellt habe. Der kommentierte nur: „Tut mir leid, an mir hats nicht gelegen“.

„Wir waren bunte Hunde“

„Swing tanzen verboten!“


Ein Abend mit Emil Mangelsdorff

Die Wartburgkirche ist an dem Abend gut gefüllt, aber trotzdem nicht zu eng, schließlich ist die Kirche groß genug. 94 Jahre alt ist Emil Mangelsdorff inzwischen, steht aber immer noch auf der Bühne und zieht sein Publikum an. Schon seit längerem ist er mit seiner Reihe „Swing tanzen verboten“ unterwegs, und das mit großem Erfolg; eine der letzten Veranstaltungen in der Frankfurter Brotfabrik war restlos ausverkauft. Auch hier gibt es schon bei seinen ersten Saxophoneinsätzen begeisterten Zwischenapplaus. Natürlich steht Mangelsdorff nicht allein auf der Bühne. Ihn umgibt die typische Swing-Combo mit Kontrabass, Schlagzeug und Klavier.

Doch zuerst geht es um Politik. Der 1925 geborene Mangelsdorff erlebte die NS-Diktatur von Beginn an und war den Repressionen durch den NS-Staat ausgesetzt.

„Mein Vater hat uns zu Antifaschisten gemacht“

Der Musiker kommt aus einer Arbeiterfamilie, der Vater war Buchbinder, die Mutter als Hausangestellte auch bei vielen jüdischen Familien beschäftigt. Von denen habe sie „mit Liebe“ gesprochen habe. Als 1933 Hindenburg die Macht an Hitler übergab, saß die Familie vor dem Radio. Die Mutter habe kommentiert „Jetzt gibt es Krieg“. Die antifaschistische Erziehung habe er seinen Vater zu verdanken, so Mangelsdorff im Rückblick.

Es war auch der Vater, der die Kinder dazu aufforderte, Radio Luxemburg zu hören, wegen der sachlichen Information.  Dort sei er das erste Mal mit Swing in Berührung gekommen. Zwischen der d-moll-Toccata von Bach und französischer Musik sei da auf einmal etwas gekommen, „so was habe ich noch nie vorher gehört“: „flott“ (Mangelsdorff merkt an, dass er mit Absicht das Vokabular von damals gebrauche) und jemand habe mit „Reibeisenstimme“ gesungen. Das habe ihn aufgeregt und mitgenommen. „Von da an war Radio Luxemburg immer mein Sender“.

Der Vater habe ihn auch in andere Arbeiterhaushalte mitgenommen, Nazigegner wie die Mangelsdorffs. Schon bald sei dort die Rede von Konzentrationslagern gewesen. Ein Kommunist aus der der Nachbarschaft war abgeholt worden. Später, als er zurückkam, sprach er mit niemandem mehr. Er muss sehr einsam gewesen sein, erinnert sich Mangelsdorff.

Sein erstes Musikinstrument sei ein Akkordeon gewesen. „Das war aber keine gute Wahl, das hat nur drei Tonarten“. Beim Akkordeonspielen habe er dann einen anderen Jugendlichen kennengelernt, einen, der noch andere Instrumente hatte (Piano und Klarinette), dazu amerikanische und englische Platten. So habe er dort zum ersten Mal Duke Ellingtons Hit „Dinah“ gehört.

Als er seinen Vater erzählte, er sei im Kaufladen auffordernd mit „Heil Hitler“ angefahren worden, gab der ihm zum Rat, „Drei Liter“ zurückzubrüllen. Das sei sicher an der Grenze gewesen und niemand habe so genau gewusst ob das gut gehe.

Der NS habe grundsätzlich eine Verachtung für Kunst und alles Fremde gehabt.

Doch sei der Jazz auch schon in den 20er Jahren in Deutschland nicht so gut angesehen gewesen. So habe Carl von Ossietzky von der Weltbühne unter dem Titel „Würdelos“ das Tanzen zum Jazz als etwas dargestellt, was selbst große Autoritäten unmittelbar der Lächerlichkeit preisgebe.

Im NS wurden die Töne dann schärfer, der Jazz sei „unappetitlich“ die Leute tanzten „als ob sie Magenkrämpfe hätten“, „Die Niggermusik muss verschwinden“.

Die Swing-Jugend – Rokokodile

Zu dieser Zeit habe Mangelsdorff mit seinen Freunden einen Proberaum in einer Kneipe gehabt. Aufgetreten seien sie dann im „Kyffhäuser“ in der Kaiserstraße, die Band hieß „Rokokodile“.

Allerdings hätten die Nazis damals den Fehler gemacht, in der Presse das Bild eines englischen Jugendlichen als mahnendes Beispiel abzudrucken. Er trug sensationelle Röhrenhosen und einen Regenschirm über dem Arm. Das hätten sich die Swing-Jugendlichen prompt zum Vorbild genommen.

In einer anderen Szene beschreibt Mangelsdorff die engstirnige deutsche Gesellschaft. Als die Schnalle seines Gürtels zerbrochen sei, habe seine Mutter vorgeschlagen, dass Stück auf der anderen Seite auch abzureißen und einfach einen Knoten zu machen. Gesagt – Getan. Auf der Straße sei er dann von der strammdeutschen Bevölkerung entsetzt angestarrt worden. Kleine Abweichungen seien schon sehr aufgefallen.

Die Gestapo überwachte schließlich die Konzerte der Swing-Band. Um der Verfolgung zu entkommen wurden die englischen Stücke kurzerhand umbenannt. Aus dem Tiger Rag wurde die „Löwenjagd im Taunus“ aus dem Saint Louis Blues, die „Sankt Ludwig Serenade“. Ein weiterer Titel hieß: „Der Scheich kommt sogleich“.

Was die Nazis für die Jugend vorsahen, wurde in einer Hitler-Rede von 1938 deutlich, in der der Diktator begeistert beschreibt, dass jede Altersklasse in nationalsozialistischen Institutionen eingebunden sei (Von der Hitlerjugend bis zur Wehrmacht). Die Rede endet mit der Ankündigung „Und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben.“

Auf diese Drohung hin, habe es jedoch keinerlei Protest gegeben, stellt Mangelsdorff erstaunt fest.

Kurz nach einer Clubgründung, dem „Harlem“, wurde Mangelsdorff zum ersten Mal polizeilich einbestellt, wegen zu langen Haaren. Einige Zeit später, nachdem Mangelsdorff einem anderen Jugendlichen geraten hatte, zu versuchen den Dienst im Wehrertüchtigungslager zu entgehen und dabei denunziert wurde, wurde er zum zweiten Mal einbestellt und kam 20 Tage ins Gefängnis. Als fast noch schlimmer kann wohl gelten, dass ihm dabei der Ausweis des Hoch’schen Konservatoriums abgenommen wurde. Der Ausweis hatte bis dahin für seine Rückstellung von der Wehrmacht gesorgt. Nun wurde er doch eingezogen und (wie viele Musiker) als Funker eingesetzt. Die russische Gefangenschaft währte nur kurz. Mangelsdorff endet mit einer Anekdote. Als die russische Armee ein Radio konfiszieren wollte, empörten sich deutsche Soldaten „Das sei doch der Besitz der Wehrmacht“. Als der russische Soldat dann das Radio anstellte kam nur ein Rauschen. Mangelsdorff nahm daraufhin ein Stück Stacheldraht vom Wegesrand und steckte es in die Antennenbuchse, daraufhin erklang „das Geläut der ganzen Welt“.

Im Konzert lässt sich vielleicht erahnen, was die Nazis am Swing so empört haben könnte. Die Musik hat eine Lässigkeit, als würde man an einem Sommertag einen Weg entlanggehen und etwas schlurfend einen Stein vor sich herkicken. Eine Tätigkeit ohne Ziel und Absicht. Es sind schöne Räume, die da produziert werden. Am Schluss gab es dafür vom Publikum auch Standing Ovations. Die andere Mangelsdorff-Legende, Albert mit der Posaune, kam an diesem Abend nicht vor.

„Swing tanzen verboten!“

Architektur, Geschichte und Klassenkampf


Buchvorstellung „Architektur einer bürgerlichen Gesellschaft Frankfurter Universitäts- und Stadtbauten im Kontext ihrer Geschichte zwischen 1906 und 1956 in der Karl-Marx-Buchhandlung in Frankfurt

Der Politologe und Humangeograph Jürgen Schardt wählt einen eher persönlichen Einstieg für die Vorstellung seiner Dissertation. Er habe am alten Campus Bockenheim begonnen zu studieren und sein Studium mit großer Leidenschaft verfolgt. Als der Umzug auf dem Campus Westend in die Planung gegangen sei, habe er den Eindruck gehabt, dass nun endgültig mit der kritischen Theorie abgerechnet werden solle, der Übergang vom Fordismus zum Neoliberalismus nun auch an der Universität vollzogen werde. Eigentlich habe er seine Forschung dem Umzug und dessen politischen Implikationen widmen wollen…

Doch dann sei es anders gekommen. Als er begonnen habe zur Geschichte der Universität zur forschen, habe es ihn „immer weiter ins 19. Jahrhundert gezogen“.  Dem gezeichneten Bild der Universität Frankfurter als „freier Bürgeruniversität“ in liberaler und fortschrittlicher Tradition, dass besonders während der Gründungsfeierlichkeiten verbreitet wurde, widerspricht Schardt scharf. Dass die Gründungsgeschichte der Uni als Kontinuität vom aufgeklärten Frankfurter Bürgertum, dessen angeblich fortschrittlichen Stiftungswesen, über die Universitätsgründung geschildert werde, sei historisch falsch.

Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts in Frankfurt sei eben nicht durch Aufklärung geprägt, sondern ständisch und eher reaktionär eingestellt gewesen. Schardt dokumentiert diese Prägung am Beispiel der fehlenden Bürgerrechte für Juden. Erst als Frankfurt seinen Status als freie Reichsstadt 1806 verlor, erhielten die Frankfurter Juden volles Bürgerrecht, das sie jedoch kurz darauf nach der Niederlage Napoleons 1816 wieder verloren. Von 1816-1866 war auch für die meisten anderen Frankfurter Bewohner der Status des Vollbürgers nicht erreichbar, da er neben der Religionszugehörigkeit an Vermögen und Einlagen geknüpft war.

Die privatrechtliche Gleichstellung der Juden sei der Stadt schließlich von Außen durch den Bundestag aufgezwungen worden. Aber auch nach dieser Gleichstellung 1864 sei ihnen die Beteiligung an den Frankfurter Stiftungen nicht gewährt worden. Auch von der politischen Vertretung, der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, liege ein Beschluss vor, der die Beteiligung von Juden an den Stiftungen explizit ablehnt. Die Frankfurter Hospitäler hätten erst in den 1880er Jahren auch Juden aufgenommen. Als mit der geplanten Universitätsgründung Anfang des 20. Jahrhunderts die Diskussion darum aufkam, dass sich auch die jüdischen Stiftungen an der Gründung beteiligen könnten, gab es von jüdischer Seite erhebliche Bedenken. Auch weil die preußischen Institutionen bekannt für den Ausschluss jüdischer Forscher waren. In der Zeitschrift des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ hatte der Autor Spectator sich aus genannten Gründen dagegen ausgesprochen, dass Juden für die Universität spenden.

Die Erzählung die Bürgersinn und Stiftungswesen und die Emanzipation der Frankfurter Juden in eins setze, sei insofern eine verdrehte Darstellung. Die Minderheit habe sich in „zähen Kämpfen“ behaupten müssen.

Als 1918 mit der Revolution alles anders werden und der Obrigkeitsstaat auch in den Universitäten abgeschüttelt werden sollte, habe sich die Situation nun ganz anders dargestellt.

Während vorher das preußische Kultusministerium als reaktionärer Gegner gegolten hatte, wären es nun die Studenten gewesen, die antidemokratische Haltungen zur Schau trugen. Die Antrittsvorlesung des demokratischen Wissenschaftlers Hugo Sinzheimer wurde massiv gestört, am Kapp-Putsch beteiligten sich auch Studenten oder sympathisierten mit den Putschisten. Der Asta schlug den 18.Januar, das Datum der Reichsgründung 1866, als Feiertag vor und machte damit deutlich, wo seine Sympathien lagen.

Die Feindseligkeit der Studenten gegen die Republik führte auf der anderen Seite dazu, dass nach dem finanziellen Bankrott der Universität 1921 das Interesse des Staates zur finanziellen Unterstützung eher gering ausfiel. Eine Auflösung der Universität und die Verteilung der Studenten auf andere Institutionen waren im Gespräch.  Als Kompromiss schildert Schardt die staatliche Rettung der Universität und die gleichzeitige Gründung der „Akademie der Arbeit“ als sozialdemokratisch geprägte Institution, auch die Gründung des Instituts für Sozialforschung 1923 habe in eine ähnliche Richtung gewiesen.

An diesen beiden neuen Institutionen habe sich auch der ästhetische Bruch mit der alten Welt gezeigt. Das Institut für Sozialforschung habe als quaderförmiger Bau mit einer Stahl-Beton-Konstruktion in einem Kontrast zum Jügelhaus mit seinem „neobarocken“ Portal gestanden. Auch wenn Schardt das Gebäude des IFS nicht der „Neuen Sachlichkeit“ zuordnen möchte, die in den 20er Jahren vor allem mit Ernst May und seinen Mitarbeiter_innen Einzug in Frankfurt hielt. In dem damaligen Gebäude des IFS hätten sich moderne und traditionelle Momente vermischt.

Schardt pendelt in seinem Vortrag zwischen Architekturgeschichte und Sozialgeschichte. Er betont „politische Kämpfe werden auch auf dem Gebiet der Architektur ausgetragen“. Im Publikationsorgan des „Neuen Frankfurt“ habe sich klar gezeigt, wo die Sympathien dieser progressiven Architekt_innengruppe lagen. In einem essayistischen Beitrag der Zeitschrift werde beispielsweise begeistert beschrieben, dass der Charakter der Bockenheimer Landstraße nun nicht mehr vom ständischen Bürgertum geprägt sei, sondern von „Tippfräulein, Binding Bier und Schweinemetzger“.  

Schardt schließt seinen Vortrag mit Ereignissen aus der etwas jüngeren Geschichte. Den Wiederaufbau der Frankfurter Oper bezeichnet er als eines der größten Architekturverbrechen der Stadt. Die vom Rauch geschwärzte Ruine, deren Portal die Aufschrift „dem Wahren, Schönen, Guten“ trägt, sei gerade in seinem zerstörten Zustand ein angemessener Ausdruck gewesen.

Auch der Wiederaufbau der Altstadt sei doch mehr als fragwürdig. Die heutige Anmutung des Areals habe eine erschreckende Ähnlichkeit mit den Planungen und Forderungen des „Altstadtvaters“ Fried Lübbecke, der den Zustand der Altstadt in den 1930er Jahren als Ideal setzte.    

Architektur, Geschichte und Klassenkampf

Auschwitz im Gedächtnis der Menschheit

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Unterlagen des 1. Auschwitzprozesses werden in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen

Vor 55 Jahren, 1963, hatte in Frankfurt der Auschwitzprozess begonnen. Jetzt wurden in einem Festakt im Haus Gallus die Akten und Tonaufnahmen des 1. Auschwitzprozesses in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen. In dem Prozess wurden Schuldige angeklagt, die sich bis zu diesem Zeitpunkt als bloße Befehlsempfänger dargestellt hatten, und in der deutschen Bevölkerung als Normalbürger untergetaucht waren. Die strafrechtliche Untersuchung der in Auschwitz (dem größten Konzentrations- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus) begangenen Verbrechen, wurde damit zum Auslöser einer bundesweiten öffentlichen Debatte und stellte eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Gesellschaft dar.

Begonnen hatte der Prozess in den 60er Jahren im Rathaus Frankfurt. Er wurde jedoch bald in das Haus Gallus verlegt – Die Erinnerungsfeierlichkeiten fanden also am historischen Ort statt.

Übergeben wurde die Urkunde von der Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Verena Metze-Mangold an den hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein. Ausgerichtet war der Festakt vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Landesarchiv Wiesbaden, das für die Aufbewahrung und Erhaltung der Unterlagen verantwortlich ist.

Als wichtigste Gäste wurden die Vertreter der Frankfurter jüdischen Gemeinde und des Landesverbands, und die Vertretung der Sinti und Roma in Hessen begrüßt, aber auch einer der damaligen Staatsanwälte des Auschwitzprozesses Gerhard Wiese.

Daneben waren Vertreter der Justiz und Gäste aus dem Landtag geladen, Außenminister Heiko Maas wurde durch Andreas Kindl (Auswärtiges Amt) vertreten.

Die UNESCO-Vertreterin Verena Metze-Mangold forderte dazu auf, Erbe und Herkunft nicht als Mittel der Abgrenzung zu instrumentalisieren. Vielmehr sei eine Entwicklung hin zu vielfachen Identitäten zu beobachten, die eine „global citizenship“ nahelegen würden. Gerade in Zeiten sich rasch wandelnder Gesellschaften, müsse die Erinnerung an Auschwitz wach gehalten werden.  Die Dokumentation der Auschwitzprozesse sei ein Zeichen, und ein Mittel für die Möglichkeit der Selbstaufklärung. Die digitalisierten Tonbandaufnahmen des Auschwitzprozesses seien schon des längeren auf der Internetseite des Fritz-Bauer-Instituts verfügbar. Sie seien auch als Mahnung zu verstehen, dass die Haut der Zivilisation dünn sei.

Andreas Kindl zitierte Außenminister Heiko Maas, der in seiner Antrittsrede zum Außenminister bekannte, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen.

Die UNESCO als Sonderorganisation der UN habe sich bereits in ihrer Präambel auf Auschwitz als „Verbrechen gegen die Menschheit“ bezogen. Die Verbrechen seien erst möglich geworden durch die Ausnutzung von „Unwissen und Vorurteilen“. Mit den Auschwitzprozessen habe erst die eigentliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Deutschen im NS stattgefunden als „Mittäter, Billigende und Duldende“. Andreas Kindl betonte, dass ohne das Engagement von Fritz Bauer der Prozess „nicht denkbar“ gewesen wäre, und verwies damit auf die Bedeutung des Einzelnen an der Gestaltung der Gesellschaft. Auch die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshof der UN stehe mit den Frankfurter Prozessen im Zusammenhang. Kindl schließt wiederum mit einem Zitat von Heiko Maas: „Die Erinnerung darf niemals enden“.

Der hessische Kultusminister Boris Rhein betonte, dass mit dem Prozess die Verantwortung der Einzelnen für begangene Verbrechen durchgesetzt worden sei. Die Rechtfertigungsstrategie, man sei nur ein „Rädchen im Getriebe“ gewesen, sei somit nicht mehr akzeptiert worden. Der größte Prozess der deutschen Strafjustiz sei auf ein breites öffentliches Interesse gestoßen, aber auch auf erhebliche Widerstände. Fritz Bauer habe beispielsweise zahlreiche Drohbriefe von Bürgern erhalten. Bauer habe sich die Feindseligkeit damit erklärt, dass „nicht nur 22 Personen auf der Anklagebank säßen, sondern 22 Millionen“. Die Menschen hätten sich in den Tätern wiedererkannt. Mit dem Prozess sei die Beteiligung „bürgerlicher Existenzen“ an den Verbrechen in den Fokus gerückt. Rhein nennt „Krankenpfleger, Bäcker, Bankangestellte und Nachbarn“, als Auswahl aus der Berufsliste der Angeklagten.

Dass Rhein dabei auf die Erwähnung der akademischen Berufe von Angeklagten verzichte- wie Lehrer, Apotheker, Arzt und Zahnarzt – wirkt (gelinde gesagt) seltsam.

1963 habe Bauer versucht, die Verantwortung und Mitschuld für alle am Vernichtungsprozess Beteiligten durchzusetzen. Dafür habe es aber damals noch keine rechtliche Grundlage gegeben. Erst 2011 sei es zu einer dementsprechenden gesetzlichen Änderung gekommen. Bei dem Prozess habe dies dazu geführt, dass auch ranghohe Angeklagte nur für die Mithilfe zum Mord verurteilt wurden.

Rhein schneidet auch das Thema zum Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft an, und tut dabei (ganz nebenbei) den Ausspruch, dass es auch „für Zuwanderer keine Ausnahme geben könne“. Durch das Herausgreifen der Zuwanderer als Problemgruppe in Bezug auf Antisemitismus bedient der Minister allerdings (nebenbei) Ressentiments gegen Minderheiten.

Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard ging es um das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften und um die Frage, was passiere, wenn Geschichte vergessen oder verdrängt würde, und wie sich entscheide, was erinnert wird. Als Beispiele nannte er den Assuan Staudamm, die Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad, das Nationalmuseum in Sarajevo, und die Zerstörung alter Handschriften in Mali. Oft gehe es bei solchen Zerstörungen um den Versuch die kulturelle Identität Anderer zu vernichten. Bei der Aufnahme der Prozessdokumente in das Weltkulturerbe gehe es vor allem darum, den Opfern ihre Würde zurückzugeben. Die Stimmen der Opfer würden hörbar.

Er selbst habe damals als Schüler den Prozess besucht. Der angeklagte Robert Mulka habe eine ganz ähnliche Haltung eingenommen wie Adolf Eichmann und seine eigene Rolle heruntergespielt; „Ich bin nur ein kleiner Mann, ich musste meine Befehle ausführen“.

Im Anschluss wurden Tonaufnahmen von Zeugen im Auschwitzprozess eingespielt:

Ein Zeuge berichtete von den Selektionen an der Rampe und dem Transport von Zyklon B in Rotkreuzwagen, eine Schreiberin schilderte den Bau der Rampe im Jahr 1943, ein Arzt berichtete vom Selektionsprozess an der Rampe, an dem sich der Angeklagte Apotheker Dr. Capesius beteiligte. Die Frau des Arztes und seine Kinder wurden ermordet, er sah sie dort zum letzten Mal.

Dr. Capesius war als Vertreter der IG-Farben Industrie im Lager und am Selektionsprozess beteiligt, noch im Prozess habe er versucht, sich als unschuldigen Apotheker darzustellen.

Erst 1979 sei die Verjährung von Mord im Bundestag aufgehoben worden, so dass eine weitere Verfolgung der Täter möglich wurde.

Der Justizminister Lauritz Lauritzen habe die Tondokumente des Prozesses gerettet, ursprünglich hätten sie gelöscht werden müssen, da sie nur als Gedächtnisstütze für das Gericht gedacht waren.

Prof. Dr. Andreas Hedwig, Präsident des Hessischen Landesarchivs, wies darauf hin, dass der Ausgangspunkt des Prozesses eine Strafanzeige in Stuttgart gegen den Angeklagten Bogner gewesen war. Das hessische Landesarchiv sei im übrigen nicht nur Aufbewahrungsort für die Dokumente des Auschwitzprozesses, sondern habe einen umfangreichen Bestand an Akten aus der NS-Zeit.

Die Veranstaltung wurde musikalisch eingerahmt durch das Rheingauer Streichquartett, das Werke von Béla Bartók, Sergei Prokofjew, Miroslav Skoryk und Chiel Meijering spielte. Die Werkauswahl und die Umsetzung wurde vom Publikum mit großem Applaus gewürdigt. Schon beim eröffnenden Stück „Caixa de Dolçosvon Chiel Meijering“ traten manch einem die Tränen in die Augen.

Tondokumente des Auschwitzprozesses auf der Seite des Fritz-Bauer-Instituts: http://www.auschwitz-prozess.de/

Veranstaltung zum Auschwitzprozess in Frankfurt im Bürgerhaus Gallus

Saalbau Gallus/Haus Gallus

Aufnahme der Dokumente des Auschwitzprozesses in das UNESCO-Weltdokumentenerbe

Von links nach rechts: Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Prof. Dr. Verena Metze-Mangold, Andreas Kindl, Gerhard Wiese, Boris Rhein, Prof. Dr. Andreas Hedwig

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Auschwitz im Gedächtnis der Menschheit

Marx im Bratenrock

#marx #trier #marxgeburtstag #marxstatue

Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Karl Marx in Trier

Der Weg zu den Festivitäten des Theoriegottes führt durch die gutbesuchte Fußgängerzone. Die öffentliche Aufmerksamkeit der Marx-Sause wird von zahlreichen Gruppen zur Präsentation ihrer Belange genutzt: Hebammen haben Marx mit Klapperstörchen dekoriert, um auf die Probleme ihrer Berufsgruppe hinzuweisen, Falun-Gong-Anhänger in gelben Anzügen protestieren mit Meditationsübungen gegen die chinesische Regierungspolitik, Schilder prangern „Organraub in China“ an.

Auf dem Simeonstiftplatz sind von weitem schon die roten Fahnen der DKP und der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) zu sehen. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer spricht davon, dass es global betrachtet immer noch zu viele prekäre Arbeitsverhältnisse gebe. Aus dem DKP-Block murrt es „Hierzulande aber auch!“. Zwei Junge Männer rufen „Wer hat Recht? Karl Liebknecht“.

Es folgt die Rede eines chinesischen Delegierten, die übersetzt wird. „Trier hat großartige Persönlichkeiten wie Karl Marx hervorgebracht, und ist deswegen auch bei uns sehr beliebt“.

Ein weiterer Redner weist auf die Wirtschaftskraft Chinas hin, die sich in den letzten Jahrzehnten rapide gesteigert habe. Dafür erntet er Applaus von der Sozialistischen Jugend. Von der anderen Seite tönen Rufe „China – Massenmord“.

Als dann der Baudezernent seine Rede beginnt, macht sich spürbar Unruhe breit (Wann wird endlich der Marx enthüllt?). Er aber beschreibt ausführlich die Planungsphase und lobt den Künstler. Zwischendurch erschallen von einer anderen Seite des Platzes andere Rufe „Weg mit der Schande!“ Muss wohl die angekündigte AFD-Demo sein.

Als die rote Hülle endlich zu Boden sinkt, kommt eine braune Bronzestatue zum Vorschein. Die Figur zeigt einen entschieden nach vorne schreitenden Marx, der in der einen Hand ein Buch trägt, während er die andere am Mantel angelegt hat. Der Mantel reicht bis zu den Knien, und ist, wie der Rest der Figur bratenbraun, und nicht besonders elegant. Für das 19.Jahrhundert ist das Kleidungsstück typisch: Eine Mischung zwischen Hausjacke, Mantel und Jackett, vielleicht auch ein Bademantel – ein universelles Kleidungsstück, dass ganzjährig ganztägig getragen werden kann (und dessen historisches Vorbild extrem speckig gewesen sein muss). Die Vorwärtsbewegung bläht den Mantel, der Wind kommt von links.

Marx sieht entschlossenen und selbstzufrieden aus. Angesichts der Tatsache, dass er sein Gesamtwerk nicht beenden konnte, wirkt dieser Ausdruck verfehlt. Die Figur gleicht vielmehr einem selbstzufriedenen Gymnasiallehrer, der die korrigierten Klassenarbeiten seiner Schüler heimträgt. Marx mag es nicht an Selbstbewusstsein gemangelt haben, aber sein Selbstbewusstsein war anders motiviert.

Nur Minuten später stehen die Besucher vor dem Denkmal an, um ein Selfie mit dem Übervater zu machen. Dazu singt ein Liedermacher in freudig-bewegtem Ton von alten Zeiten und neuen Ufern, oder so ähnlich… Gruß von Hein & Oss.

Marxstatue in Trier

Marx im Bratenrock

Herr Adorno und sein Rehbraten

Die CSU, Seehofer und das Heimatmuseum

Wenn der Begriff Heimat fällt, denken die meisten wohl an einen Männergesangsverein, Alpenveilchen, Horst Seehofer oder an die Afd. Wobei das Alpenveilchen in dieser Reihung wohl noch die angenehmste Assoziation ist.

Theodor W. Adorno soll während seiner Zeit im Exil auf die Frage danach, was er am meisten an seiner Heimat vermisse, geantwortet haben: Rehbraten mit Wacholderbeeren, dunkles Brot und einen richtigen Winter. Eine durchaus nachvollziehbare Antwort. Insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass Adorno und die übrigen Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, in Kalifornien gelandet waren, wo das ganze Jahr über eine Temperatur von 23 Grad herrscht.

Von der AFD und der CSU wird der Heimatbegriff derzeit in Anschlag gebracht, um Andere, insbesondere muslimische Flüchtlinge und Migranten, auszugrenzen. Durch deren Zuwanderung gehe die vielbeschworene Heimat verloren. Dass durch die Anwesenheit „Fremder“ Heimat nicht mehr Heimat sei, ist sowohl eine steile These, als auch eine widerwärtige und unsinnige Behauptung. Dass Geflüchtete und Migranten als Bedrohung ausgemacht werden, nimmt sprachlich die Gewalt der Neonazis vorweg.

Heimat ist sowohl eine politischer, als auch eine sinnlicher Begriff. So wurde er schon im 19. Jahrhundert von der politischen rechten aggressiv in Anschlag gebracht. Nationalismus und Nationalstaatsbildung gingen dabei einher mit der Überhöhung der eigenen Heimat (oder Kultur) und der Abwertung der jeweils Anderen. Als Kampfbegriff zielte er schon damals auf den öffentlichen Raum ab.

Als sinnlichen Aspekt kann man vielleicht das beschreiben, was man bei der Rückkehr von einer Reise wahrnimmt. Das vertraute Klima, die Geräuschkulisse, die Sprache und Ähnliches.

Wenn ich nach Frankfurt zurückkomme, gehören dazu aber auch die türkischen Gemüsegeschäfte auf der Münchnerstraße (wo es nicht nur Rosenkohl und Kohlrabi gibt), der afrikanische Schuhverkäufer auf dem Flohmarkt mit seinen Rufen „Schuh for You, heute steuerfrei“, und eben nicht zwingend der Tante-Emma-Laden aus der Vergangenheit, den ich selbst kaum mehr mitbekommen habe. Die „Heimatbewahrer“ wünschen einen Stillstand der weder möglich, noch wünschenswert ist. Die Projektion eines (vorgestellten) guten Zustandes in die Vergangenheit soll in der Gegenwart reanimiert werden. Das vielleicht hervorstechende Merkmal in dieser Verwendung des Heimatbegriffs ist die Konstruktion von Kollektiven, die sich feindlich oder rivalisierend gegenüberstehen.

Dass ein Wiedersehen mit der „Heimat“ paradox verlaufen kann, schilderte Hannah Arendt. Die ebenfalls ins Exil geflüchtete Philosophin beschrieb bei ihrem ersten Besuch in Deutschland nach dem Krieg eine Szene bei der Ankunft im Hamburger Hafen.

Ein Zollbeamter habe die Ankommenden in deutscher Beamtenmanier zu Recht gewiesen: „Nun stellen Sie sich mal ordentlich an!“. Das habe in ihr ein Gefühl der Rührung ausgelöst.

Auf die Frage welches Ministerium er leite, antwortete Horst Seehofer, dass er für das „Heimatmuseum“ zuständig sei. Ein freudscher Versprecher par excellance. Bis heute sind die Aufgaben seines Ministeriums nicht definiert. Seehofer hat mit seinem Ausspruch, „der Islam gehört nicht zu Deutschland“, als Antwort auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde, Ängste und Abwehrreflexe gegenüber Muslimen geschürt. Wie schon von anderen festgestellt wurde, würde, wenn mit Deutschland der Staat gemeint sein sollte, auch das Christentum nicht zu Deutschland gehören – Die BRD ist schließlich ein säkularer Staat; dass Christen und Muslime in Deutschland zu Hause sind, ist ein Fakt, an dem auch das Heimatmuseum nichts wird ändern können.

Als Betätigungsfeld für das Heimatministerium bliebe vielleicht die Frage zu beantworten, ob Bayern denn zu Deutschland gehöre…

Herr Adorno und sein Rehbraten